In der beliebten New
Yorker Buchhandlung Strand gibt es einen Tisch für Bücher, die irgendwo
auf der Welt verboten sind. „Banned Books“ steht verheißungsvoll auf
einem Schild, darunter liegt, zwischen Hemingways „Der alte Mann und das
Meer“ und James Joyces „Ulysses“ ein Buch, dessen Anblick inmitten von
Literaturklassikern Leser aus dem deutschsprachigen Raum leicht
verstören könnte.
Nun, wer seinen Kampf gelesen hat, wird mir zustimmen: zähe Lektüre. Nicht das griffige Futter für Neo-Rechtsradikale, die in aller Regel sich eher über Lärm (a.k.a. Heavy Metal), Tätowierungen und Lederjacken, denn über ihre Lesebegeisterung definieren ...
Die von Tante »Presse« im Gouvernantenton gestellte Frage: »Wie soll man mit dem Buch umgehen?« verdient nur eine Antwort: »Gelassen«. Glaubt wirklich einer, daß ein Buch, das schon seit Jahren aus dem Internet problemlos heruntergeladen werden kann, und das praktisch jeder Antiquar (wie mir von mehreren solchen bestätigt wurde) mehrfach in durchaus gutem Erhaltungszustand — wenngleich nicht im Katalog, aber »unter dem Tresen« — anbieten kann, nur deshalb, weil es dann auch als Neudruck erhältlich ist, auf einmal zum Bestseller wird? Jetzt ganz ernstlich ...?
Die Generation, die noch nicht »internet-affin« sozialisiert wurde, hat das Buch vermutlich ohnehin als Familienerbstück im Original — oder eben nicht, weil es diese Familie einfach nicht interessierte. Leute wie ich, der ich es als Jugendlicher beim Stöbern auf dem Dachboden eines von meinen Eltern als Wochenenddomizil gekauften Bauernhauses fand, sind da eigentlich schon die große Ausnahme ...
Denjenigen, die das Werk nicht kennen, kann zur Vorwarnung gesagt werden: es ist weniger aufregend zu lesen, als die Verbotsaura, die darum gemacht wird, vermuten läßt. Es ist — und das muß der Gerechtigkeit halber m.E. auch gesagt werden — keineswegs stilistisch so schlecht, wie oft aus dem Motiv der Abschreckung heraus getan wird. Die Teile, die die Jugendjahre behandeln, sind durchaus lesbar geschrieben — und der Rest: »Jo mei ...!«, würde der Bayer sagen ...
Es ist insgesamt jedoch nicht weniger lesbar als z.B. die zentrale programmatische Schrift des Kommunismus, das »Kapital« von Karl Marx (an dem ich mit noch längeren Zähnen gekaut habe). Politische Schriften sind halt selten ein Lesegenuß, damit muß man rechnen. Was das Gedöns betrifft, das jetzt um eine theoretische Neuauflage losgeht, kann man freilich nur den Kopf schütteln:
Dabei ist Hitlers „Mein Kampf“ gar kein verbotenes Buch, auch in
Österreich nicht: Man darf es besitzen, Bibliotheken dürfen es
verleihen, in Antiquariaten ist es erhältlich. Nur der Nachdruck war bis
jetzt nicht erlaubt – weil das Urheberrecht des deutschen Textes beim
Freistaat Bayern lag, der jede Neuauflage unterband. Mit dem
Jahreswechsel – 70 Jahre sind seit Hitlers Tod vergangen – ist das
Urheberrecht nun erloschen. Theoretisch kann jetzt jeder die
nationalsozialistische Propagandaschrift nachdrucken, praktisch würde
eine (unkommentierte) Veröffentlichung wohl gegen das Verbotsgesetz
verstoßen, das jede Verherrlichung der NS-Zeit untersagt. (ebend.)
Was angesichts der Tatsache, daß ähnlich »gustiöse« Schriften aus der Feder Lenins, Stalins oder Maos völlig unkommentiert nachgedruckt werden dürfen, gelinde gesagt, etwas eigenartig anmutet. Und der Koran darf schließlich auch jederzeit unkommentiert herausgegeben werden. Doch Hilfe naht:
Das renommierte Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) gibt eine
„kritische Edition“ des umstrittenen Buches heraus. 2000 Seiten (auf
zwei Bände verteilt) umfasst das Werk, an dem Historiker gemeinsam mit
Germanisten, Biologen und anderen Experten drei Jahre lang gearbeitet
haben. Der Originaltext wurde um über 3500 Kommentare ergänzt, die
Hitlers Worte erklären, korrigieren und in einen historischen Kontext
stellen. Die Herausgeber wollen „Mein Kampf“, das in Neonazi-Kreisen
Symbolwert genießt, anderswo mit Tabus behaftet ist, „entmystifizieren“
und Hitlers Thesen auseinandernehmen: „Was lässt sich mit dem Stand
unseres heutigen Wissens Hitlers unzähligen Behauptungen, Lügen und
Absichtserklärungen entgegensetzen?“, heißt es auf der Website des IfZ. (ebend.)
Nun, das ist ja tröstlich! In der Veröffentlichung des IfZ ist nur ein kleiner Lapsus unterlaufen, es sollte nämlich statt »Was lässt sich mit dem Stand
unseres heutigen Wissens ...« richtiger »Was lässt sich mit dem Stand
unseres heute zulässigen Wissens« heißen. Doch das sind peccata minora, die angesichts der durch die Aufblähung mit 3500 Fußnoten garantierten Unlesbarkeit kaum ins Gewicht fallen.
Manche Bücher werden gelesen. Andere gekauft, um sie vielleicht irgendwann zu lesen. Manche werden bloß ins Regal gestellt. Man wird in der Annahme nicht fehlgehen, daß für die kommentierte IfZ-Ausgabe letzteres zu erwarten stünde — wäre nicht das bloße »ins-Regal-Stellen« eines solchen Werkes per se ein solcher Verstoß gegen die Gründungsmythen unserer Nachkriegsordnung, daß sich dies eigentlich von selbst verbietet.
Heißt das also, daß LePenseur die Lektüre empfiehlt? Nun — das hängt von Hintergrundwissen ab. Wer keine Ahnung von der damaligen Epoche hat, wird das Werk nach wenigen Seiten gelangweilt aus der Hand legen. Das wird auch dem, der mit jener Zeit vertraut ist, auf weite Strecken nicht anders gehen. Besonders, wenn er die kommentierte IfZ-Ausgabe zu lesen verurteilt ist. Denn »... man merkt die Absicht, und man ist verstimmt«, wie das die Volksweisheit so treffend zu sagen weiß. Ad usum delphini zurechtgemachte Schriften sind immer ein Ärgernis — hat das unseren Staatshistorikern noch niemand gesagt?
Nun also? Wozu der Wind um etwas, was ohnehin keiner lesen wird? Nun, der
Grund ist recht einfach zu finden (wenn man sich nachzudenken traut):
die Gründungsmythen der Nachkriegsordnung sind inzwischen so brüchig geworden, daß offenbar befürchtet wird, der Lufthauch durch das Umblättern einer unkommentierten Seite jenes Werkes könnte schon ausreichen, das hochgetürmte Kartenhaus zum Einsturz zu bringen ...
Warum fördern gerade jene, die sich als Gegner ausgeben, so sehr das Interesse an dem Gröfaz?
AntwortenLöschenDa es unzählige Gruppierungen gibt, die überall nach Nazis suchen und davon ihre (hoch und staatlich subventionierte) Existenzberechtigung ableiten, ist es nur logisch, dass ein Buch, das im Prinzip nur mehr Historiker zur Hand nehmen, wichtig gemacht wird. So können die Linken wieder ihre Transparente gegen Rechtsradikale ausrollen, die Antifa ihre Trupps ausschicken (vielleicht nicht gerade jetzt, da der kalte Winter doch gekommen ist) und sich Innenminister wichtig fühlen.
Dazu eine zweite Frage: warum ist "Il principe" von Machiavelli im Buchhandel frei und ohne 1000 Seiten hilfreicher Kommentare erhältlich? Da werden doch einem autoritären Fürsten ganz offen Ratschläge gegeben, wie er seine totale Macht erhalten und ausweiten kann! Liegt es vielleicht daran, dass die Wichtigtuer von heute von Geschichte und zugehöriger Literatur keinerlei Ahnung haben - und haben wollen (ganz im Sinne der Regierenden!)?
Ich möchte dem Vorkommentar beipflichten. Wenn es um "Gefährlichkeit" ginge, so müßte man Machiavelli unter Verschluß nehmen. ICh hatte vor Jahre auch einmal die Gelegenheit, in jenes Buch des Herrn Hitler zu schauen. Eine Maxime aus dem Munde des kürzlich verstorbenen Bundeskanzlers a.D., Helmut Schmidt, ist m. E. der richtige Umgang mit diesem Werk: "Noch nicht einmal ignorieren!"
AntwortenLöschen