... muß ich doch bisweilen meinen Kopf über die eine oder andere Wortmeldung schütteln. So erschließt sich mir nicht, welche — fraglos stilistisch-feuilletonistisch funkelnden — Gedankenketten er um die vor zehn Tagen lancierte BLÖD-Meldung von Hitlers angeblicher Ein-Eiigkeit drapiert (siehe
Acta diurna vom 29.12.2015). Er merkt es ja selbst:
Reden wir hier allen Ernstes über Hitlers Eier? Wen interessiert das?
Aber gemach, vielleicht kommen wir aus der Sache doch mit einem
Erkenntnisgewinn heraus.
Jeder kennt Ernst Kantorowicz’ Theorie von den zwei Körpern, die in der Person des Königs zur unio mystica
vereint sind, also der natürliche, sterbliche Leib des konkreten
Herrschers und der übernatürliche, unsterbliche des Königs an sich. In
modernen Demokratien ist dieses Modell obsolet geworden, der
Bundeskanzler etwa ist auch als Abstraktum weder unsterblich noch
heilig, sondern nur der gewählte Anführer und Primus inter pares
in einer gerade aktuellen Form. Schaut man dagegen 4000 oder 3500 Jahre
zurück, zum ägyptischen Pharao, blickt man in eine Zeit noch vor der unio mystica, Pharao ist göttlicher Natur und wird
im Tode Gott (es gibt den Bericht eines Höflings aus dem Neuen Reich,
der fassungslos vor Glück ist, nicht hingerichtet worden zu sein, weil
er versehentlich den Gottkönig berührt hatte).
Was uns wieder
zu Hitler führt, der für eine große, wahrscheinlich mehrheitsfähige Zahl
seiner deutschen Zeitgenossen näher beim Pharao als beim Bundeskanzler
existierte.
Und jetzt folgt eine große Betrachtung darüber, warum es sich bei Hitler doch (obwohl er an Massenmord-Quote deutlich hinter Mao und Stalin zurückblieb) um eine einzigartiges Phänomen gehandelt habe. Und flugs sind wir wieder beim Gründungsmythos der Nachtkriegsordnung gelandet. Was schade ist, denn diesen Mythos*) des Zwanzigsten Jahrhunderts haben wir bereits ad nauseam vernommen. Wenn Klonovsky dann bezüglich Mao und Stalin im Vergleich zu Hitler postuliert:
... würde ich die These riskieren, dass auch deren fanatischste Anhänger ein
realistischeres Bild von den beiden roten Diktatoren hatten als die
glühendsten Verehrer des deutschen Führers von jenem. Stalin und Mao
hatten Widersacher in den eigenen Reihen, gegen die sie sich durchsetzen
mussten, und sie taten es unter anderem, indem sie behaupteten, das
beste für die Partei und das Land zu tun. Der Reichskanzler Hitler
musste nie die Partei zu seiner Legitimation herbeizitieren, und mit dem
Volk verschmolz Sein Wille zur mystischen Einheit. Stalin und Mao
verkörperten den Fortschritt, Hitler war die Inkarnation der Vorsehung.
An Wunder und Wunderwaffen glaubte in der kommunistische Welt niemand so
recht, vielmehr an historische Gesetzmäßigkeiten und ähnliche
Miniatur-Mirakel. Im geistig eigentlich überlegenen Deutschland indes
nahm der Wunderglaube zu, je mehr die Fronten ins Rutschen gerieten, und
zwar ausschließlich in Verbindung mit dem Glauben an den Führer. Anders
gesagt: Stalin und Mao waren in den Augen ihrer Anhänger immer noch
Menschen, Hitler dagegen in den Augen der seinen eine Art Halbgott und
Wundertier.
... dann halte ich das — mit Verlaub, edler Dichter und Denker Klonovsky, und nicht als Breitseite gegen Sie gedacht! — für ziemliche Geschichtsklitterung:
1. auch Hitler mußte sich in seiner Partei durchsetzen. Strasser-Flügel vergessen? Röhm und seine nationalbolschewistischen SA-Banden ausgeblendet? Danach, ja freilich: da war er dann etabliert — aber das war Stalin nach der Ausschaltung der »Trotzkisten« und der »Rechtsabweichler« aus dem Politbüro ebenso. Oder Mao nach der Ermordung von Lin-Biao ...
2. Kennt Herr Klonovsky das berüchtigte Becher-Gedicht (oder die ebenso unsäglichen Produkte des späteren Nobelpreisträgers Pablo Neruda) auf Stalins Tod nicht? Figuriert der dort nicht mindestens ebenso sehr als »Inkarnation der Vorsehung«? Als eine Art »Halbgott und Wundertier«?
3. Wann hätte denn Stalin (außer in durchschaubar rein rhetorischen Floskeln) »die Partei zu seiner Legitimation herbeizitieren« müssen? Wann Mao?
4. Daß Wunderglaube in der Verzweiflung bessere Nahrung findet, als auf Seite der siegreichen Sache (die der Erfolgreiche immer gern auf sein höchsteigenes Verdienstkonto buchen möchte), ist auch allgemein bekannt. Daß die Lage Deutschlands, wenigstens seit dem Steckenbleiben der Wehrmacht in Rußland in den verfehlt geführten Aktionen des ersten Kriegswinters — vielleicht hätte Hitler doch besser auf Guderian hören sollen ... —, spätestens aber seit der Katastrophe von Stalingrad, höchst verzweifelt war, ist ja schwer zu bestreiten.
Nein — das erneute Bedienen jenes oben genannten Gründungsmythos der Nachkriegsordnung ist durchaus entbehrlich! Vielleicht nicht für Klonovsky, bei dem ich mir schon denken kann, daß er mit seinen bewundernswert offenen Worten zu allen möglichen Tabuthemen jetzt einmal beim Haupt- & Staatstabu unserer Zeiten und Breiten seine Bereitschaft zu einem — zwar nur kleinen, ja fast nur symbolischen — Brandopfer bekundete; nein wohl bekunden mußte ... Aber für »den Diskurs an sich« (um das mal hochgestochen auszudrücken) war's entbehrlich ...
Wenn Klonovsky dann noch schreibt:
Berge von Biographien und Memoiren brachten keinen anfassbaren,
temperierten Menschen zum Vorschein. War er überhaupt ein Mensch? Besaß
er in der Tat eine Körpertemperatur?
... dann hat er offenbar nie die zahlreichen Berichte seiner damaligen Mitarbeiter und (v.a.!) -innen zu Gesicht bekommen, die einen durchaus »privaten« Hitler zeigen. Einen, den es natürlich im Bestreben, ihn (und nur ihn) zum absolut-einzigartig-undenkbar Bösen der Menschheitsgeschichte zu stempeln, nicht geben darf. Aber wohl gegeben haben dürfte ...
Wenn Klonosky dann weiters schreibt:
Hitler war zwar nicht der
allergrößte Massenmörder, aber innerhalb dieser Monstergilde der
unbegreiflichste, alienhafteste, ein „unerklärlich von außen
Hereingeschneiter“ (Sebastian Haffner), ein Geschöpf von
unausrechenbarer Fremdheit. Sogar die Monster Mao und Stalin wirken, wie
gesagt, menschlich neben ihm.
... dann beginnt mir bei der Vorstellung der »Menschlichkeit« eines Mao, der im »langen Marsch«, im »großen Sprung nach vorne« und in der »Kulturrevolution« kaltlächlend Millionen über die Klinge springen, ausrotten und sonstwie verrecken ließ, zu frösteln.
Und was die vergleichsweise »Menschlichkeit« eines Stalin betrifft: Michael Klonovksy wäre gut beraten, bspw. die Bücher »Sterbliche Götter« und »Das Geheime wird offenbar« seines Vornamens-Vetters
Michael Voslensky zu lesen. Was da über Stalins Schauprozesse, GULAGs & Co. berichtet wird, läßt einem das Blut in den Adern um kein Zehntelgrad weniger gefrieren, als die schrecklichsten KZ-Reports aus der Nazizeit ...
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*) der andere, über den viele abfällig reden, aber den keiner kennt (weil ihn keiner kennen darf und daher auch nicht kennen kann), schreibt sich übrigens in latinisierter Form. Das nur nebenfüglich.
Hitlers Ei(er) ist/sind mir wurst. Stimme Ihnen in der Sache zu, denke aber nicht, dass M. K. Geschichtsklitterung betreiben wollte. Er ist übrigens in seinem Diarium auch auf Ihren Beitrag eingegangen. Beste Grüße.
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