Mittwoch, 22. April 2015

Mörderische Buchhaltung?

Gröning ist wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen angeklagt. Er half im damaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau dabei, Geld aus dem Gepäck von Gefangenen wegzuschaffen, um es an die SS weiterzuleiten. Gröning wird deshalb auch "Buchhalter von Auschwitz" genannt.

Mit seiner Tätigkeit habe er dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Tötungsgeschehen unterstützt, wirft ihm die Staatsanwaltschaft Hannover vor. Die Anklage wurde auf die sogenannte "Ungarn-Aktion" im Sommer 1944 beschränkt, bei der mindestens 300.000 Menschen ermordet wurden. Dem 93-Jährigen droht eine Haftstrafe von mindestens drei Jahren.

Die Justiz verlangt seit 2011 nicht mehr den Nachweis einer direkten Beteiligung an den Morden in den Vernichtungslagern. Auch die Tätigkeit eines Aufsehers oder eines Kochs kann seitdem für die Annahme von Beihilfe zum Mord ausreichend sein. Eine unmittelbare Beteiligung an einem konkreten Tötungsdelikt muss nicht mehr nach- gewiesen werden.
(Hier weiterlesen)
Eigentlich ist diese »Rechtsauffassung«, daß eine Beihilfe zum Mord auch darin bestehen kann, für die Mörder — oder ggf. auch bloß für die Buchhalter von Mördern — Gulaschsuppe u.ä. zu kochen, durchaus ausbaufähig! Warum sollte, wenn's erwünscht scheint (weil einem sonst die Angeklagten auszugehen drohen), nicht auch der Verkäufer in dem Kleidergeschäft, in dem der obgenannte Gulaschsuppenkoch eingekleidet wurde, wegen Beihilfe zum Mord verknackt werden können? Und der Wohnungsvermieter des Verkäufers. Und natürlich der Gaskassier des letzteren. Und ... und ... ...

Interessant wird nur die Begründung, warum dann die famosen Politiker und Feldherrn der Alliierten (und deren Köche, selbstmurmelnd) nicht ebenfalls wegen Beihilfe zum Mord angeklagt werden, da sie es immerhin — trotz Kenntnis durch ihre Geheimdienste — billigend in Kauf nahmen (also mit dolus eventualis, wie der Jurist es nennt), z.B. durch Nicht-Zerstörung der Eisenbahn-Zufahrtswege konkrete Tötungsdelikte zu ermöglichen, die (ebenso konkret) zu verhindern ihnen damit freilich ungleich leichter möglich gewesen wäre, als einem Buchhalter oder Gulaschsuppenkoch.

Aber, keine Bange — gegen derlei unerwünschten Weiterungen gibt es natürlich eine wunderbare Freizeichnung seitens der Siegerjustiz, die sich ja schon immer, und ganz besonders zu Nürnberg, dadurch ausgezeichnet hat, mit ungleichem Maß zu messen, und nicht bloß einmal irgendwelchen pöhsen deutschen Kriegsverbrechern ihre Teilnahme am Massaker von Katyn vorwarf (und sie dafür an den Galgen hängte).

Das ist freilich — wenigstens seit 2011, ab dem Verlangen der Justiz nach einer Verbreiterung der Tatbestände — auch total in Ordnung so, denn die Kette der Schuldzurechnung erfolgt (posthum ganz folgerichtig) über die Buchhaltung des OKW, die, vermittels des deutschen Botschaftskochs, der Ribbentrop z.B. ein Gulasch kochte (ohne das er nach langer Anreise vor Entkräftung wohl kaum in der Lage gewesen wäre, den Hitler-Stalin-Pakt zu unterzeichen), über Ribbentrop selbst (den man dank rechtzeitiger Hinrichtung heute nicht mehr zu verurteilen braucht), und Molotow (den ein rechtzeitiger natürlicher Tod heute auch vor lästigen Prozessen bewahrt), eine geradezu lückenlose Kausalitätskette von Katyn ins OKW, samt allen Untereinheiten der Wehrmacht, selbstmurmelnd, zu spannen vermag.

So schließen sich die Kreise der deutschen Alleinschuld. Lauter Mörder (sagte der durch lukrative Erbfolge mittelbar an Tötungsdelikten beteiligte Zigarettenerbe ja schon immer)!  

Difficile est ...

2 Kommentare:

  1. 2005 erschien eine Doku zum Thema. Dort hat Oskar Gröning über seinen Tätigkeit in Auschwitz berichtet.

    Ich will jetzt keine Diskussion starten über und ob und warum und wie. Auch nicht über das filbingerische Was damals Recht war kann heute kein Unrecht sein.

    Mir geht es nur um den juristischen Aspekt.
    2005 war Gröning nach bundesdeutschem Strafgesetzbuch und durchgehender (auch höchstrichterlicher) Rechtsprechung unschuldig. Das Wissen um die Straflosigkeit war vermutlich der Grund, warum er so offen ausgesagt hat.

    Seit 2005 hat sich an der Sachlage nichts geändert, auch nichts an den einschlägigen Strafrechtsparagraphen.
    Trotzdem ist er jetzt schuldig.

    Kann mir jemand den Unterschied zwischen diesen Rechtspraktiken und Willkür erklären?
    Ich sehe nämlich keinen.

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