Donnerstag, 4. September 2014

Werner Bergengruen

... begegnete mir erstmals in einem — von mir Leseratte sofort neugierig durchschmökerten — Deutschlesebuch meines älteren Bruders (als ich ins Gymnasium kam, war der Lesestoff bereits weitestgehend von Tradition und dergleichen »purifiziert«, brachte daher eher so Sachen von Lenz, Böll & Co.) in Gestalt einer wunderbaren kleinen Geschichte aus dem »Letzten Rittmeister« — und zwar jene über den literaturbegeisterten, idealistischen jungen Leutnant, der in der Festung Erfurt die Torwache kommandiert, und sie vor dem per Kutsche anreisenden, greisen Staatsminister von Goethe als Ehrenbezeugung für dessen Genie reglementwidrig heraustreten läßt.

Einfach — großartig: die resigniert-schmerzliche Güte des von der unvermuteten Huldigung überraschten und gerührten Dichters, doch auch die wie nebenher fallende Bemerkung über den »Infanterieknall« einer bestimmten Sorte preußischer Offiziere ... das alles stand mir bereits als zehnjährigem Buben so plastisch vor Augen, daß ich es hätte zeichnen können (könnte ich gut genug zeichnen!). Und, wie ich viel später feststellte, als ich das Buch antiquarisch erstanden hatte: dieser »Letzte Rittmeister« besteht aus vielen solcher »Geschichten« — und eine besser als die andere (und je nach Stimmungslage immer eine andere) ...

Es sind dies jene ganz typischen, »anekdotischen« Geschichten Bergengruens, in denen auf ein paar Seiten (oft nur ein paar Absätzen) ganze Menschenschicksale vor das innere Auge des Lesers treten — und sogleich unvergeßlich bleiben in ihrer ebenso präzisen wie prallen, dennoch so irgendwie »nebenher hingetupft« wirkenden Lebendigkeit!

Heute vor fünfzig Jahren ist Werner Bergengruen im 72. Lebensjahr verstorben. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens von den stramm links verorteten jüngeren Schriftsteller- und Literaturkritiker-Kreisen hämisch als »unzeitgemäß« verlacht; und vom »unzeitgemäß« ist es nur ein kleiner Schritt zum infamen Vorwurf des »Ewiggestrigen« — und auch dieser blieb Bergengruen nicht erspart. Er versuche die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands zu verdrängen, hieß es auf einmal ...

Die selbstgerechten Schnösel der »Gruppe 47«, die sich da so gut vorkamen in ihrer »Progressivität« und in ihrem Bekenntnis zum Antifaschismus, übersahen geflissentlich, daß Bergengruen von den Nazis 1937 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen worden war, und als bestenfalls (!) gerade noch »geduldeter« Autor also ein prekäres Dasein auf jederzeitigen Widerruf führte, das ein Fingerschnippen aus dem Propagandaministerium beenden konnte, und auch tatsächlich beendete, wie die Publikationsgeschichte seines Romans »Am Himmel wie auf Erden« beweist. Der mißtrauisch von der Gestapo überwacht wurde, dessen regimekritische Gedichte unter der Hand in Abschriften zirkulierten. Der aber — entscheidender Fehler! — alles andere als ein Linker war, wenn er auch Manfred von Ardenne, wie dieser schreibt, 1945 den Rat gab, als Wissenschaftler in der Sowjetzone zu bleiben und gegebenenfalls in die Sowjetunion zu gehen, denn gute Leute könne man überall brauchen und könnten sich in jedem System nützlich machen.

Er hätte sich natürlich mit ein bißchen Schmiegsamkeit zu einer Art »Thomas Mann der Inneren Emigration« stilisieren können — ein wenig Anbiederung an Lederjacken und ein wenig weniger Bildungsbürgertum und Tradition hätten das schon hingebracht. Aber er war ein Balte und hatte für die »Weißen« gekämpft; so einer macht keinen Kotau, zu dem er nicht mit vorgehaltener Pistole gezwungen wird (und vermutlich nicht einmal diesen)!

Es war der Gedichtband »Die heile Welt«, der sein Verhängnis besiegelte. Darüber konnten linke Trümmerpoeten doch nur mokant die Lippen kräuseln. »Heile Welt« — wie das schon klang! Und daß einer in den 50er-Jahren in der Lage war, richtige Versfüße zu schreiben (wo doch das zeitgenössische Geschreibsel wenig Hand und Fuß hatte), und richtige Reime in all dem Ungereimten jener Zeit, das verziehen sie ihm nie ...

Und deshalb ein kurzes Gedicht (ich hoffe damit unter dem Radar für Urheberrechtsverletzungen zu bleiben), das beides zeigt:

Im Morgengrauen

O königlicher du und junger Vogel Tag!
Du zagst? O wage nur den ersten Flügelschlag.

Im schwarzen Kerker lagst du schlafend wie im Grab.
Schon schmilzt das frühe Licht sein Gitter, Stab um Stab.

Sieh, wie der Berge Schein dir rot entgegenglimmt.
Fahr auf! Vielleicht bist du zum Jüngsten Tag bestimmt.

Sowas war natürlich damals schon einfach Autobahn! Vielleicht nicht für gelegenheitsdichtende Benediktinerpatres, oder so — denen ließ man das noch durchgehen ... aber bei einem professionellen Dichter ...?

Nein, ich behaupte nicht, daß dies Bergengruens bestes Gedicht ist — ich kenne weitaus bessere, die zu zitieren mich wohl in Kompliklationen mit der Bergengruen-Gesellschaft (und ihren Verlagen) bringen würde. So sei statt dessen an die geneigten Leser appelliert, in den Antiquariaten nach den Romanen, Novellensammlungen und Gedichtbänden Bergengruens zu suchen — es gibt fürwahr Köstlichkeiten zum Schnäppchenpreis zu finden, denn er ist ganz und gar nicht »en vogue«. Und lohnt die Lektüre dennoch mehr als 99% dessen, was heute mit Literaturpreisen ausgezeichnet, oder gar auf Bestenlisten gesetzt wird ...

1 Kommentar:

  1. Danke für diese Anregung. amazon gibt übrigens mehr als 1000 Fundstellen ...

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