Samstag, 6. September 2014

Pierre de Ronsard

... wurde am 6. September 1524, also heute vor 490 Jahren geboren (bis zum Jahre 2024, wenn sein Halb-Milleniums-Gedächtnis anstünde, wollen wir sicherheitshalber nicht warten, denn sowohl LePenseurs Lebensalter, und noch mehr die derzeitigen Umtriebe in der Ukraine lassen die Aussicht, dann noch eines französischen Lyrikers der Renaissancezeit gedenken zu können, wenigstens zweifelhaft erscheinen). Was über Ronsard zu wissen nötig ist, kann man bspw. hier nachlesen (und natürlich bei Tante Wiki, die für diese Zwecke durchaus brauchbar ist) — warum aber ein Gedächtnis gerade auf diesem LePenseur-Blog ...?

Die Erklärung liefert — wieder einmal — eine Jugenderinnerung an den musikalischen Jahresregenten Richard Strauss, näherhin an seine späte Oper Capriccio. In diesem »Konversationsstück für Musik« geht es kurz gesagt um die Frage, ob die Musik oder die Worte in einer Oper entscheidendere Bedeutung hätten. Das Libretto in seinem glatten Konversationston läßt nicht vermuten, daß nicht weniger als fünf Autoren (darunter auch der Komponist) darin ihre Hände im Spiel hatten (wenn auch nur einer von ihnen, der Dirigent Clemens Krauss, offiziell erwähnt wird). Daß die Musik mit zum Schönsten und Reifsten, das Richard Strauss je geschrieben hatte, gehört, bedarf keiner besonderen Erwähnung ...

In dieser geistreich dahinfließenden Konversation spitzt sich die Thematik dramatisch zu anläßlich eines Sonetts, das einer der beiden Verehrer der Gräfin, der Dichter Olivier, verfaßt, und das daraufhin flugs von seinem Konkurrenten, dem Musiker Flamand, improvisierend vertont wird. Es ist eine Oper über die Oper, in der auf der Bühne Bühne gespielt wird — die Inszenierung aus der Pariser Oper bringt diesen Charakter des »Spieles im Spiel« recht originell herüber (der etwas gewollt wirkende Kostüm-Mix ist freilich etwas gewöhnungsbedürftig — aber das sind peccata minora ...):


Und dieses Olivier'sche Sonett — ist in Wahrheit eines von Pierre de Ronsard! Keineswegs schlecht übersetzt von einem »Dilettanten« der Dichtkunst — dem damals dem Zenit der Karriere zustrebenden Nachwuchsdirigenten Hans Swarowski (der freilich zu jener Zeit auch noch eine ganze Reihe von Opernlibretti übertrug):
Kein andres, das mir so im Herzen loht,
Nein, Schöne, nichts auf dieser ganzen Erde,
Kein andres, das ich so wie dich begehrte,
Und käm' von Venus mir ein Angebot.

Dein Auge beut mir himmlisch-süße Not,
Und wenn ein Aufschlag alle Qual vermehrte,
Ein andrer Wonne mir und Lust gewährte
Zwei Schläge sind dann Leben oder Tod.

Und trüg' ich's fünfmalhunderttausend Jahre,
Erhielte außer dir, du Wunderbare,
Kein andres Wesen über mich Gewalt.

Durch neue Adern müßt' mein Blut ich gießen,
In meinen, voll von dir zum Überfließen,
Fänd' neue Liebe weder Raum noch Halt.  
Im französischen Originaltext  klingt das dann so:
Je ne saurois aimer autre que vous,
Non, Dame, non, je ne saurois le faire:
Autre que vous ne me sauroit complaire,
Et fust Venus descendue entre nous. 

Vos yeus me sont si gracieus et dous,
Que d'un seul clin ils me peuvent defaire,
D'un autre clin tout soudain me refaire,
Me faisant vivre ou mourir en deux cous. 

Quand je serois cinq cens mille ans en vie,
Autre que vous, ma mignonne m'amie,
Ne me feroit amoureus devenir. 

Il me faudroit refaire d'autres venes,
Les miennes sont de vostre amour si plenes,
Qu'un autre amour n'y sauroit plus tenir.
Wie man erkennen kann, ist Swarowski mit großer Texttreue vorgegangen, und hat es doch geschafft, ein nicht bloß fehlerfreies, sondern ein sogar sehr poetisches Sonett daraus zu machen, welches die Begeisterung der Gräfin (und die zündende Inspiration des Konkurrenten, des Komponisten) durchaus begreiflich macht. Im weiteren Verlauf (und hier treibt die Inszenierung das »Spiel im Spiel« auf die Spitze) erscheint das vertonte Sonett nochmals, zu Ende der Oper, gesungen von der Gräfin (die sich selbst dabei mit ihrem Bruder ebenso wie Dichter, Komponist und Operndirektor aus der Loge beim Singen zusieht). Dem geht freilich jene kurze »Mondscheinmusik« voran, in der der Melodiker Richard Strauss in altersloser Schönheit Musik aufblühen läßt:





Ein etwas boshafter Poster schrieb unter das letzte Video: »... a self-absorbed diva played by a self-absorbed diva (who can sing but ... well, the sottilissimo facial contortions do not equal acting) whose voice says it all. oh, and she has a pretty face, too.« Doch seien wir nicht so süffisant, sondern geben der Gräfin das Wort, zwei Mal. Zum ersten in ihrer Reaktion unmittelbar nach dem ersten Hören des vertonten Gedichtes im Terzett:
GRÄFIN
Haben ihm die Worte die Melodie vorgesungen? War diese schon harrend bereit, die Worte liebend zu umfangen? Trägt die Sprache schon Gesang in sich, oder lebt der Ton erst getragen von ihr? Eins ist im andern und will zum andern. Musik weckt Gefühle, die drängen zum Worte. Im Wort lebt ein Sehnen nach Klang und Musik.

OLIVIER
gleichzeitig
Vernichtet der Reim - die Sätze zerstückelt, willkürlich zerlegt in einzelne Silben, in kurz und lang ausgehaltene Töne! Sie nennen es »Phrase«, die Herren Musikanten! Wer achtet nun noch auf den Sinn des Gedichts? Die schmeichelnden Töne, sie triumphieren! Der Glückliche! Auf meiner Worte Stufen steigt er zu leichtem Sieg.

GRÄFIN
zum Dichter
Wie schön die Worte, kaum kenn' ich sie wieder! Wie innig ihr Ausdruck und stürmisch ihr Werben! Nun, Olivier, Sie schweigen - Sie denken? ruhig Sind Sie mit meiner Kritik nicht zufrieden?

OLIVIER
Ich überlege, ob das Sonett nun von ihm ist oder von mir. Ist es nun ihm eigen, oder noch mein?

GRÄFIN
Wenn Sie erlauben, gehört es jetzt mir! Als schönes Geschenk des heutigen Tages. 
Und dann noch die letzten Minuten des Werkes, nachdem sie das Sonett selbst gesungen hatte:
Sie erhebt sich und geht leidenschaftlich bewegt auf die andere Seite der Bühne
Ihre Liebe schlägt mir entgegen, zart gewoben aus Versen und Klängen. Soll ich dieses Gewebe zerreissen? Bin ich nicht selbst in ihm schon verschlungen? Entscheiden für einen? Für Flamand, die große Seele mit den schönen Augen – Für Olivier, den starken Geist, den leidenschaftlichen Mann?
Sie sieht sich plötzlich im Spiegel
Nun, liebe Madeleine, was sagt dein Herz? Du wirst geliebt und kannst dich nicht schenken. Du fandest es süß, schwach zu sein, – Du wolltest mit der Liebe paktieren, nun stehst du selbst in Flammen und kannst dich nicht retten! Wählst du den einen – verlierst du den andern! Verliert man nicht immer, wenn man gewinnt?
zu ihrem Spiegelbild
Ein wenig ironisch blickst du zurück? Ich will eine Antwort und nicht deinen prüfenden Blick! Du schweigst? – O, Madeleine! Madeleine! Willst du zwischen zwei Feuern verbrennen? Du Spiegelbild der verliebten Madeleine, kannst du mir raten, kannst du mir helfen den Schluß zu finden für ihre Oper? Gibt es einen, der nicht trivial ist? –

HAUSHOFMEISTER
Frau Gräfin, das Souper ist serviert.

Die Gräfin blickt lächelnd ihr Spiegelbild an und verabschiedet sich von diesem graziös mit einem tiefen Knix. – Dann geht sie in heiterster Laune, die Melodie des Sonetts summend, an dem Haushofmeister vorbei langsam in den Speisesaal.
LePenseur wagt nicht zu sagen, ob dieser Schluß auch nach dem Geschmack Pierre de Ronsards ausgefallen ist — doch daß er in seinem schwerelosen Offenbleiben aller Fragen einer der gelungensten Operschlüsse überhaupt ist, steht für ihn außer Frage ...

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P.S.: wer die ganze Oper, mit Kiri Te Kanawa als Gräfin in einer insgesamt sehr stimmigen Aufführung (San Francisco 1993) sehen möchte: hier ist sie, und das Libretto zum Mitlesen hier.


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