... wird selbst gewiegten Literaturkennern nichts sagen. Heute vor 180 Jahren im damals idyllischen Städtchen Quedlinburg geboren, gehörte er nach Einschätzung von Wikipedia zu den sogenannten »Butzenscheibendichtern«:
Dieser Begriff wurde zuerst 1884 von Paul Heyse
verwendet, um damit zeitgenössische Dichter zu charakterisieren, die
alter-tümelnde Verserzählungen in gefälliger Art über historische Stoffe
und Sagen
schrieben und ihren Lebensunterhalt damit bestritten. Neben
Reimerzählungen umfasst Wolffs literarisches Schaffen, wie an den
Untertiteln seiner Werke erkenntlich, auch romanhafte Prosa.
... weiß uns Tante Wiki zu informieren und verrät damit zugleich, daß die Lektüre von Wolff's Werken seitens des Artikelautors wohl nicht über die Untertitel hinausgekommen sein dürfte. Historische Romane und Novellen als »romanhafte Prosa« zu bezeichnen fällt einem nur ein, wenn man sie nicht gelesen hat ...
Nun, es ist natürlich nicht so, daß Julius Wolffs schaffen zu den Höhepunkten deutscher Dicht- und Romankunst zu zählen wäre, Fontane wußte seine allzu gefällige Reimerei in Gedichten und Versepen aus gutem Grund zu kritisieren, und die Romane sind bessere Gartenlaubequalität, nicht mehr. Und dennoch — wer einmal einen der in prachtvollem Weinrot mit reichlich goldverziertem Rücken gehaltenen Bände seiner Gesamtausgabe durchblätterte, wird an der gewandten Sprache das eine oder andere Vergnügen gehabt haben, z.B. wenn er in der »Lurlei. eine Romanze« liest:
Erlaubt mir, daß ich euch berichte
Ausführlich, wie ich kann und mag,
Der Lurlei Leben und Geschichte
Von Anfang bis zum heut'gen Tag!
Ein Märchen ist's aus alten Zeiten;
Ihr wißt ja, ich beschwöre gern
Gestalten und Begebenheiten,
Die manches Säkulum uns fern.
Schon lange hat es mich getrieben
Zu diesem Sang hin ohne Ruh;
Nehmt's hin, wie ich's hier aufgeschrieben,
Als tränk' ich fröhlich eins euch zu!
Rückt euch den Kranz, daß hier im Bunde
Die Lust euch aus den Augen blitzt!
Und voll die Römer in der Runde,
Wie Bruder neben Bruder sitzt!
Nur daß ich erst die Lippen netze,
Heb' ich das Glas mit goldnem Wein,
Und eh' ich's wieder niedersetze –
Stoßt an! gesegnet sei der Rhein!
Das ist nun, zweifelsfrei, epigonale Gesellschaftsreimerei — auf professionell gediegenem Niveau. Auch an seinem Roman »Der Raubgraf«, der in Wolffs Geburtsstadt Quedlinburg spielt, kann man stilistisch durchaus wenig auszusetzen finden, wenn man etwa gleich den Beginn hernimmt:
Auf einem Felsen hoch über der Stadt Quedlinburg im alten Harzgau steht eine Kaiserpfalz, die schaut rundum in das blühende, fruchtbare Land vom fernblauenden Hackelforst und vom Huywald im Norden bis zu dem langhingestreckten Kamme des Gebirges, der den Blick im Süden begrenzt.Wolff ist einer jener vielen, die im späten 19. Jahrhundert durchaus mit Talent, aber eben ohne Genie, die ausgetretenen Pfade deutscher Literatur bewanderte — auf den Spuren eines Geibel dichtete, in freundschaftlicher Konkurrenz zu Felix Dahn historische Romane schrieb, und sich so wie Hamerling um ein Stiefkind der deutschen Literatur, das Versepos, bemühte. Seine Erfolge auf all diesen Gebieten waren pekuniär zufriedenstellender als künstlerisch. Dennoch: all die Wolffs sind die breiten Hügel- und Mittelgebirgslandschaften, ohne die sich die hochaufragenden Gipfel der Dichtkunst wohl etwas seltsam ausnähmen.
Die ragende Burg ist die Schöpfung und zugleich das erinnerungsreiche Grabmal König Heinrichs des Städtegründers, des Vogelstellers und seiner Gemahlin Mathilde aus des alten Sachsenhäuptlings Wittekind Geschlecht. Wie sie beide dort oben gehaust, so ruhen sie auch beide dort in der schönen Krypta der Schloßkirche und mit ihnen ihre Enkelin Mathilde, des großen Ottos rühmliche Tochter.
Bedeutende Menschen und denkwürdige Tage hat dieses Schloß gesehen. Die Kaiser sächsischen und fränkischen Stammes und auch die Hohenstaufen nahmen hier oft langen Aufenthalt und hielten Reichstage und glänzende Hoftage. Mehr als einmal haben auch königliche Frauen von hier aus das Deutsche Reich regiert, so die Kaiserin Adelheid, ferner die geistvolle Theophano und endlich Mathilde, die als Reichsverweserin für ihren nach Italien gezogenen Neffen Otto III. im nahen Derenburg sogar einmal einen Reichstag hielt.
Die jüngere Mathilde, die dort oben in der Krypta schlummernde Tochter Kaiser Ottos I., war die erste Äbtissin des freiweltlichen Frauenstiftes, das König Heinrich hier errichtete und das er und seine Nachfolger mit einer Fülle von hoheitlichen Rechten ausstatteten, wie sie kein zweites geistliches oder weltliches Stift im heiligen Römischen Reiche besessen hat. Für Töchter aus Herrscher- und vornehmen Adelsfamilien bestimmt und an keine Ordensregel gebunden, stand es unmittelbar unter dem Kaiser. Die aus der freien Wahl der Konventualinnen hervorgehende Äbtissin hatte den Rang eines Reichsfürsten, hatte Sitz und Stimme auf der rheinischen Prälatenbank des Reichstages zu Regensburg, und kein Herzog oder Graf hatte irgendwelche Gewalt in ihrem Gebiet, als einzig der von ihr eingesetzte Schirmvogt.
In dem Zeitraume von vier Jahrhunderten, die seit seiner Gründung vergangen waren, hatte das Stift an Land und Leuten stetig zugenommen, und als unter Kaiser Ludwig dem Bayer die fünfzehnte Äbtissin, Jutta von Kranichfeld aus Thüringischem Grafenhause, im Schlosse zu Quedlinburg den goldgefaßten Krummstab führte, gebot sie über einen sehr ansehnlichen Besitz, zu dessen Schutz und Schirm sie eines starken männlichen Armes bedurfte.
Ein solcher fehlte ihr auch keineswegs. Seit zwei Menschenaltern waren Schutzvögte des Stiftes die Grafen von Regenstein, die schon eine fürstliche, auf eigenem Erbgut und beträchtlichen Lehen ruhende Macht besaßen und deren Stammsitz, eine gewaltige Bergfeste, sich fast im Mittelpunkte des großen Harzgaues erhob.
(Hier weiterlesen)
Einige seiner Werke sind über den verdientvollen Tredition-Verlag wieder aufgelegt worden, auch im Gutenberg-Projekt findet sich eine Reihe von ihnen. Und wer bei einem Gläschen süffigen Weins (vorzugsweise natürlich vom Rhein) beschwingt die eine oder andere Strophe rezitiert, wird bald finden, daß auch Butzenscheiben bisweilen ihren Reiz haben können ...
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