Donnerstag, 25. September 2014

Ein heute Verfemter

... starb vor siebzig Jahren, also am 25. September 1944, in Straßburg durch einen alliierten Bombenangriff, zusammen mit seiner dritten Frau, die er knapp vier Wochen davor geheiratet hatte: der Schweizer Schriftsteller Jakob Schaffner.

Gerade weil sich die Schweizer Politik und Wirtschaft in vielerlei Hinsicht mit den Nazis nur zu gut arrangiert hatte, wurden nach 1945 Personen wie Schaffner, die sich zum Nationalsozialismus bekannt hatten, in geradezu perfider Weise verfemt. Wenn Litaraturhistoriker Walter Muschg 1959 arrogant befindet: »Jakob Schaffners Geschichte ist die Geschichte eines Scheiterns, dem das Wort «tragisch» nicht zuzubilligen ist« — dann fragt sich: wie bezeichnet man die Geschichte eines menschlichen Scheiterns und eines Bombentodes denn dann? Mit: »Ätsch! Recht g'schieht ihm! Verrecken soll die Sau!« — oder wie darf man das verstehen? Über der Inhumanität des Nazismus sollte auf die vielfach ebenso vorhandene Inhumanität des Anti-Nazismus nicht vergessen werden.

Wie denn anders als »tragisch« kann, ja: muß man das Scheitern, das Abirren eines Menschen in eine Ideologie benennen? So, wie es tragisch war, wenn ein Johannes R. Becher von einem engagierten, expresssionistischen Lyriker zum stalinistischen Kulturfunktionär und DDR-Nomenklaturisten mutierte. Wenn ein Schostakowitsch Symphonien umschreiben mußte, und vom ZK vorgefertigte Statements auf internationalen Kulturkongressen mit stockender Stimme aufsagen. Aber, seltsam: hier wird von Kritik und Forschung die Tragik sofort feinnervig wahrgenommen und berücksichtigt ...

Es ist jener moralisierende Mehltau, der sich über das Kulturschaffen des gesamten 20. Jahrhunderts legt, seitdem — insbesondere von den durch die Gnade der späten Geburt privilegierten Angehörigen der 68er-Generation — der Wert einer künstlerischen Leistung nicht mehr nach der Leistung, sondern danach bemessen wird, ob der Künstler auch die rechte — und das heißt in den Augen unserer linken Kulturschickeria immer: die linke! — Gesinnung vorzuweisen hat.

Schaffner war — und das wird heute bereitwillig vergessen — nach dem Tode des Nobelpreisträgers Spitteler, eine der literarischen Stimmen der Schweiz. Nach schwerer Kindheit (er war früh Waise geworden und in Anstalten aufgezogen worden) und ärmlichen Jugendjahren galt er in den 1920er-Jahren als führender Erzähler seines Landes. Bis er 1933 von den Nazis zum Mitglied der Akademie ernannt wurde.
Walter Muschg formulierte die These, dass das Dritte Reich zu einem «Prüfstein für die Dichter geworden sei, der zwangsläufig alle innere Schwäche und Stärke des Einzelnen» offenlegte (an L. Hohenstein; 30.12.1956). In seinem Werk «Die Zerstörung der deutschen Literatur» (1956) streifte Walter Muschg Schaffner nur mit einem Wort: «Amerika hat seinen Ezra Pound, dem der Hochverratsprozess nur dadurch erspart blieb, dass er sich im Irrenhaus internieren liess, (...) die Schweiz ihren Jakob Schaffner.» 
... schreibt Peter Kamber am 23. Jänner 1999 im Magazin der Basler Zeitung. Ja, da ist Muschg schon beizupflichten — nur sollte er die Kriterien der Schwäche und Stärke ein bisserl objektiver gewichten. Welcher »Stärke« bedurfte ein wohlhabender und international berühmter Schriftsteller wie bspw. Thomas Mann, um 1933 »mannhaft« in die USA zu emigrieren und dort ein ebenso sicheres wie angenehmes Leben zu führen (wie sicher und angenehm, das erhellt sich z.B. daraus, daß für ihn die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki keinen hinreichenden Grund zu Tagebucheintragungen boten — statt dessen reflektiert er über banale persönliche Belanglosigkeiten, man kann's nachlesen. Irgendwie kommt einem der berühmte Tagebucheintrag »Rien!« Ludwigs XVI am 14. Juli 1789 in den Sinn ...). Seltsam auch, daß solch charakterologische Wasserproben nur zwischen Rhein und Memel stattgefunden hätten — als wären sie an Moskwa, Potomac, Seine, Themse, Tiber oder Yangtze nicht ebenso denkbar gewesen ...

Jakob Schaffner ist verfemt — das erkennt man schon daran, daß sich zu seinem Wikipedia-Artikel nicht einmal eine Diskussionsseite gesellen konnte. Er war, wie in der Einleitung seines Artikels formuliert wird, »ein Schweizer Schriftsteller, der die nationalsozialistische Ideologie unterstützte.« Das reicht. Ob die Romane, die er davor schrieb (und für die er hochkarätige Literaturpreise erhielt), etwas taugten — wenn kümmert's. Nazi reicht.

4 Kommentare:

  1. Werter Penseur,

    zunächst muß ich zugeben, von diesem Schriftsteller habe ich vorher noch nie etwas gehört. Im Gegensatz zu Knut Hamsum, der mir beim Lesens sofort eingefallen ist.
    Natürlich kann dieses „Verfemt“ sein bzw. das Vergessen seiner Werke auch damit zusammenhängen, daß die literarische Qualität eben doch nicht so dolle war oder daß die Themen, Romane über Erziehungsanstalten sind wohl nicht mehr so „in“, in den späteren Jahren einfach nicht mehr so zugänglich waren. Dies ist ja auch anderen Autoren so ergangen.

    Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Genannten ist aber, daß der Herr Schaffner ab 1911 nicht mehr in seinem Geburtsland der Schweiz lebte. Daß da viele Schweizer ihn nicht mehr als einen der Ihren angesehen haben bzw. ansehen wollten, kann ich schon verstehen.

    So, um nun etwas später konkretes zu der literarischen Qualität und meinem Zugang dazu sagen zu können, habe ich mir das Buch doch mal bestellt.


    Grüße

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  2. "Gerade weil sich die Schweizer Politik und Wirtschaft in vielerlei Hinsicht mit den Nazis nur zu gut arrangiert hatte ..."

    Das, geschätzter LePenseur, ist etwas billig und Ihrer nicht würdig. Die Realität sieht anders aus. Bei Ausbruch von WKII hat man bewusst den französischsprachigen General Henri Guisan zum Oberbefehlshaber der Armee gewählt. Die Frontstellung der Schweizer Armee war eindeutig gegen Deutschland gerichtet. Das erkennt sogar Wikipedia an:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Henri_Guisan#General_Guisan

    Im Gegensatz zum heutigen Österreich hat die Schweiz damals ihre Neutralität mit robusten militärischen Mitteln verteidigt.

    Nach dem Westfeldzug 1940 war die Schweiz komplett von Achsenmächten umzingelt. Dazu kam, dass sich die Schweiz ohne Nahrungsmittelimporte nicht selbst ernähren konnte (obwohl alle verfügbaren Flächen, sogar Sportplätze, als Anbauflächen verwendet wurden).

    Also, im Klartext: die Schweiz war davon abhängig, dass die Deutschen Lebensmittellieferungen durchlassen, oder Menschen verhungern. So einfach ist das. Da ist der Spielraum für eine edle moralische Protesthaltung sehr gering.

    Aber aus der heutige, bequemen Couch-Sicht darüber zu richten, ist natürlich einfach.

    Mit freundlichen Grüßen
    FritzLiberal

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  3. Cher FritzLiberal,

    Es liegt mir fern, Ihnem eidgenössischen Patriotismus nahetreten zu wollen, und mit dem Hinweis auf die Nahrungsmittelversorgung haben Sie durchaus recht.

    Die Schweizer Wirtschaft (und Politik) — und das ist beileibe kein Vorwurf, sondern eine nöchterne Feststellung! — hat sich jedoch auch darüberhinaus mit dem NS-Regime im großen Nachbarland bemerkenswert gut zu arrangieren gewußt.

    Wie es sich (und das sage ich gerade angesichts unserer verlogenen Haltung bezügl. Neutralität in Österreich!) für ein neutrales Land auch gehört! Denn die parteiische Pseudo-Neutralität (Fischer über Österreichs Teilnahme an der IS-Aktion Washingtons: »Es gibt keine Neutralität gegenüber Verbrechen«) finde ich zum Kotzen.

    Nach 1945 hatten allerdings manche Schweizer auf einmal den Moralischen gekriegt, weil sie nicht doch gegen die Nazis mehr getan haben als sie hätten können, wenn sie nicht ... ach geschenkt!

    Und von dort datiert die Verfemung von Leuten wie Schaffer, die vor 1945 vielleicht als bedenklich »unschweizerische« Einzelgänger angesehen wurden, aber nicht als Out-Casts. Diese neue Qualifikation als Nicht-Mensch blieb dem Ingenium der Antifanten vorbehalten, die solcherart den »Untermenschen« der Nazis noch zu toppen verstanden ...

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  4. Ich bin übrigens kein Schweizer, sondern Insasse der Volksdemokratie Osterreich. ;)

    Interessiere mich aber sehr für die Geschichte von Ländern wie der Schweiz oder von Finnland während des 2.Weltkrieges, und Persönlichkeiten wie Guisan oder Mannerheim. Ich denke, man kann daraus für die heutige Zeit einiges lernen.

    Auch wenn da natürlich bei der Ansammlung an Volltrotteln, die sich unsere "politische Führung" nennt, jede Hoffnung vergebens ist.

    FritzLiberal

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