Sonntag, 3. August 2014

Am 3. August 1924

... starb einer der für mich rätselhaftesten Schriftsteller: Joseph Conrad. Wobei sich die Rätselhaftigkeit nicht nur auf den Inhalt seiner Werke bezieht (die oft als wahre Vexierspiele menschlichen Verhaltens zu bezeichnen sind), sondern auf die schiere Tatsache, daß es sie überhaupt geben konnte ...

Denn Joseph Conrad, der die englische Literatur seiner Zeit wie wenige andere Schriftsteller zu neuen Ufern trug (was für den Seemann, der er vor seiner Schriftstellerei war, auch eine durchaus geziemende Beschäftigung ist!), lernte als polnischer Emigrant vor der Zarenherrschaft erst mit einundzwanzig Jahren englisch — und sprach er es zeitlebens mit einem starken slawischen Akzent. Und doch schrieb er das makelloseste Englisch, vollendet in diffizilen Nuancen und kühnem (aber doch stets idiomatischem) Assoziationsreichtum. Unbegreiflich!

Eine Würdigung seines Schaffens wurde schon oft — und sicherlich von berufenerer Seite als mir — unternommen. Daher hier nur ein kurzer, persönlicher Hinweis auf das tremendum fascinosum, das dieser Schriftsteller für mich hat. Irgendwo (ich glaube, es war in einer Buchrezension aus der Feder Hermann Hesses) las ich einmal, daß Conrad eben »nur« eine Ethik eines »Gentleman-Ideals« zu gestalten verstand, darüber hinaus zu gehen, sei ihm nicht gelungen. Diese Einschätzung ist ebenso richtig wie zugleich völlig falsch: ja, es ist eine Gentleman-Ethik, die er uns vor Augen führt — aber es ist ein Heroismus, ein den Leser unerbittlich fordernder, ja quälender Heroismus in diesem nur auf den ersten, oberflächlichen Blick scheinbar so mühelosen Ideal!

Ich kenne fast keinen Roman, fast keine Erzählung Conrads, in der einem nicht irgendwann im Verlauf der vielfach verschlungenen Handlungsfäden klar würde, daß diese Geschichte wohl kein für das Gemüt des Lesers erquickliches Ende nehmen werde. Daß denen, die sich tapfer als Gentlemen bewähren (wollen), ihre Ehrenhaftigkeit ebenso tragisch zum Unheil ausschlägt, wie denen, die sich ehrlos verhalten, ihre durchschnittliche Schäbigkeit. Daß über allem ein unerbittliches Schicksal waltet, das man nicht besiegen, dem man auch nicht entkommen kann — das vielmehr gefaßt zu tragen uns aufgegeben ist.

Es sind vor allem drei Werke, mit denen sich Joseph Conrad wohl für immer in die Literaturgeschichte der Welt eingetragen hat: Lord Jim, Herz der Finsternis, und Nostromo. Sein »Lord Jim« war sicherlich immer schon sein populärstes Werk, das »Herz der Finsternis« ist in seinem rätselhaft-dunklen Assoziationsreichtum ganz nach dem Gusto unserer postmodernen Dekadenz, und wurde in den letzten Jahren gerne als Folie und Vorlage für — meist schwächere — Neuschöpfungen gebraucht. Ich will daher eine Lanze einlegen für seinen »Nostromo«, einen Roman, der mich seit meiner Schulzeit (als ich ihn mir irgendwann vor der Matura zu Weihnachten wünschte) begleitet.

Es war — pure, kenntnislose Neugier stiftete mich an zu meinem Wunsch — mein erster Conrad-Roman, und wie so oft bei mir brauchte es Jahre, die ich ihn immer wieder hernahm (und wieder entmutigt aus der Hand legte), bis ich an jenen Punkt kam, an dem ich das unaufhaltsam rollende Rad des Schicksals erkannte, das Nostromo, jenen Helden, der über weite Teile des Romans kaum präsent zu sein scheint, zermalmen sollte. Es war ein unendlich schmerzerfüllter Augenblick, in dem ich ahnend erkennen mußte, daß banale weibliche Leichtfertigkeit einen Helden von wahrhaft großem, menschlichem Format zu Fall bringen würde.

Und in diesem, wenn ich so sagen darf: »Fulgurations-Erlebnis« wurde ich ein Joseph-Conrad-Jünger (»Fan« wäre ein allzu banaler Begriff dafür!) für mein Leben. Tauchte in (fast) jedem seiner Werke einmal in jenen Moment schmerzlicher Prophetie über den weiteren Handlungsverlauf ein, durch den einem die Ausweglosigkeit der jeweiligen Existenz zu Bewußtsein kommt. Nein, Joseph Conrad ist keine angenehme Lektüre! Und es kommt auf den Leser an, welche Schlüsse er daraus zu ziehen weiß.

Manche läßt er niedergeschlagen, ja zerschmettert zurück; andere wieder flüchten sich in Zynismus. Und denen, die Joseph Conrad verstanden haben, die nicht von »bloß einer Ethik eines Gentleman-Ideals« reden, sondern erkannten, wie anspruchsvoll, wie fordernd dieses »bloß« sein kann, erwächst aus der Niedergeschlagenheit, das Scheitern eines würdigen Helden erkennend miterleben zu müssen, die Gabe der Gelassenheit, dieses Leben und seine Fährnisse anzunehmen. Wie Joseph Conrads Romangestalten das ihre.


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P.S.: bei gutenberg.spiegel.de: »Nostromo«

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