Mittwoch, 7. Mai 2014

»Wohl keine Kommunalwahl in der Geschichte ...

… der DDR hat selbst so viel Geschichte gemacht wie die am 7. Mai 1989.«

schreibt Prof. Dr. Manfred Gerlach, der kurzzeitige (12/1989-04/1990) letzte Staatsratsvorsitzende der DDR und langgediente (1967-1990) Vorsitzende der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD), in seiner höchst lesenswerten, weil durchaus auch selbstkritisch angelegten Autobiographie »Mitverantwortlich. Als Liberaler im SED-Staat« (Morgenbuch-Verlag, Berlin 1991, S 254 f.). Und setzt über diese bedeutsame Wahl, die heute vor exakt 25 Jahren stattfand, hinzu:
In der vorangegangenen Zeit listeten wir vor allem immer auf, wieviel Mandate die LDPD dazubekommen hatte. Aus diesem Blickwinkel hätten wir 1989 sehr zufrieden sein können. Im Vergleich zur letzten derartigen »Wahl« 1984 saßen jetzt 1474 Liberaldemokraten mehr, insgesamt 12154, in den örtlichen Parlamenten. Wir stellten 245 Bürgermeister, das waren 4 zusätzlich. In den Wahlvorständen arbeiteten 6448 Parteimitglieder, darunter 60 als Vorsitzende.
Doch diesmal galten andere Maßstäbe. Im Volk gärte und brodelte es; bei dieser Kommunalwahl ging es um Staatspolitik. Alle warteten auf ein Zeichen, das neues Denken signalisiert hätte; doch vergebens. Ich überlegte, ob ich – bei meiner Abstimmung waren immer Fernsehen und Fotografen zugegen – demonstrativ die Kabine im Wahllokal benutzen sollte. Heute sage ich, hätte ich es nur getan; damals meinten wir, das bringe außer Ärger nichts ein; gesendet würden solche Aufnahmen bestimmt nicht.
Wenige Tage später wurden die ersten Wahlfälschungen bekannt, meist durch westliche Medien, doch auch aus Eingaben, die Bürger an viele Stellen richteten, auch an die Leitung der LDPD. Im Unterschied zu früheren Wahlen notierten diesmal Initiativgruppen und kirchliche Kreise die Ergebnisse in Wahllokalen, summierten sie und verglichen sie mit den offiziellen Zahlenangaben. Da zeigten sich teilweise spektakuläre Differenzen. Die Vorgänge um diese Betrügereien sind nie bis zum Ende geklärt worden. M.E. wurde verfahren wie immer; die Fälschungen, angeordnet oder »freiwillig«, erfolgten vorrangig in den Sonderwahllokalen (keine öffentliche Auszählung) und in den Kreiswahlbüros (ohne Öffentlichkeit, durch Staatsfunktionäre, die allesamt der SED angehörten).
Soweit die Erinnerungen Gerlachs. Die Parallelen zur bevorstehenden »Wahl« am 25. Mai 2014 sind offensichtlich. Auch hier wird durch legistische Vorgaben dafür gesorgt, daß, egal was »herauskommt«, praktisch nur das »hineinkommt« (nämlich ins EU-»Parlament«), was den Machthabern paßt. Parteien auf Ebene der Einzelstaaten müssen sich künstlichen »transnationalen« Fraktionen anschließen, um überhaupt als Fraktion in Brüssel anerkannt zu werden. Das Gewicht der einzelnen Stimmen ist von absurder Ungerechtigkeit — wenn man bloß vergleicht, wie viele Abgeordnete Zwergstaaten wie Luxemburg oder Malta, aber auch die nicht wesentlich bevölkerungsreicheren Staaten des Baltikums, Skandinaviens und des Donauraumes im Vergleich bspw. zu Deutschland stellen. Das solcherart gewählte »Parlament« ermangelt darüber hinaus fast aller typischer Rechte eines Parlaments: in der Gesetzgebung beschränkt sich seine Funktion auf das Abnicken der von den EU-Kommissaren vorgelegten Gesetzesinitiativen, das Budget-»Recht« ist Chimäre, die Wahl der Kommission (und v.a. ihres Präsidenten), die de facto nur zwischen den ewigen schwarz-roten Koalitionszwillingen im Kreis der EU-Rates der Regierungschefs ausgekungelt wird, detto. Unsere »Wahl« dieses faktisch rechtlosen EU-»Parlaments« ist mit den Verhältnissen von Volkskammerwahlen in der DDR also durchaus nicht unähnlich. Man ersetze »Politbüro der SED« durch den »Rat der Regierungschefs« — eh voilà!

Die EU-Machthaber sollten allerdings rekapitulieren, wie sich die Dinge in der DDR entwickelten. Irgendwann hatte weite Teile im Volk einfach die Schnauze voll und wollten sich an dieser großen Betrugsveranstaltung, genannt »sozialistische Demokratie«, nicht mehr beteiligen. Und innerhalb weniger Jahre, ja Monate erodierte die so wunderbar ausgeklügelte Maschinerie, die doch immer so schön brav die gewünschten Ergebnisse geliefert hatte. Nun freilich — ein entscheidender Unterschied zur DDR-Situation besteht heute: es gibt (sieht man einmal von der dafür viel zu kleinen Schweiz ab), weder für Deutsche, noch für Franzosen oder Italiener ein gleichsprachiges Land, in das sie fliehen könnten, wenn ihnen das Kotzen über unsere Verhältnisse allzu sehr im Hals würgt. Nur die Engländer und Iren können über den Atlantik flüchten (ob sie sich’s dort freilich verbessern, darf unter Backaromas Führung bezweifelt werden) … ... und naja: vielleicht hätten die Spanier und Portugiesen noch die eine oder andere Alternative in Lateinamerika. Der Rest aber müßte Russisch, Hindi oder Chinesisch lernen. Was die Politik unserer Machthaber für viele dann faktisch »alternativlos« macht.

Dennoch: wo die Not am größten, da wächst das Rettende auch — und so stehen bei dieser Wahl erstmals auch Parteien zur Auswahl, deren jede einzelne zwar ins Korruptions- und Gummizellen-Regime Brüssels, auch gegen ihren eigenen Willen, »integriert« werden könnte; doch ob das auch für die ganze Palette insgesamt zutreffen wird (bzw. auch nur kann!), bleibt spannend. Insbesondere das Abschneiden der UKIP könnte in Großbritannien ein politisches Erdbeben auslösen, aber auch die Ergebnisse des Front National, der AfD und der FPÖ sind für manche Überraschung gut.

Und so stellt sich die Frage, ob wirklich die Wahlenthaltung diesmal die sinnvollere Entscheidung ist. Sie mag ehrlicher sein — denn wenn man sich die Pfeifen ansieht, die uns nicht bloß in den Blockparteien der EU, sondern auch bei ihren dissidenten Herausforderern so angeboten werden, verliert man ja wirklich die Freud’ daran, wählen zu gehen. Aber andererseits: in einigen Tagen haben wir die — vielleicht für lange Jahrzehnte letzte! — Möglichkeit, in einer mehrfachen Krisensituation (politisch, gesellschaftlich wie wirtschaftlich) vielleicht doch unseren Machthabern via Stimmzettel jenen »schwarzen Schwan« als Boten zu senden, bei dessen Anblick sie, entmächtigten Götzen gleich, zu Boden stürzen. Zeit wär’s …

3 Kommentare:

  1. Die Neigung, in Sachen EUDSSR sich jeder Aktivität zu enthalten ist sehr verständlich. Man könnte sich ja mitschuldig machen.

    Allerdings: jetzt gilt es! In der Tat mit großer Wahrscheinlichkeit die letzte Möglichkeit vor 1984 den Lumpen die rote Karte zu zeigen.

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  2. »Der Rest aber müßte Russisch, Hindi oder Chinesisch lernen.«

    Tja, mit Sinhala geht's auch: Vllt. brauchen die netten Leute auf der Insel ja irgendwo einen Übersetzer dt. Klassiker, aber auch der gegenwärtigen Dekadenzprodukte.

    Irgendwer muss nach dem Zusammenbruch ja über das Ende schreiben und dafür benötigt man schließlich auch Originalquellen ...

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  3. Das Ergebnis der AfD wird für keine Überraschung mehr gut sein. Es wäre erfreulich, würden wir uns täuschen.

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