Folgende Texte waren zwar nicht für die Zentralmatura in Deutsch vorgesehen, sondern vielmehr zwei Artikel über ebendieselbe. Ein »braver«, und ein, selbstmurmelnd, »umstrittener« (Codewort für: »Aber das ist doch ein Nazi!«). Aber vielleicht könnte man daraus das Deutsch-Zentralmatura-Thema für das Jahr 2015 machen ...? Eh voilà:
Text 1:
Große oder kleine Patzer in der formalen Vorbereitung ereigneten sich bei den Prüfungen im Verlauf einer Matura immer wieder. Früher oblag es der weisen Entscheidung von Vorsitzenden, sie möglichst angemessen auszubügeln. Richtschnur dabei war, gegenüber der Gesellschaft dafür geradezustehen, dass die Absolventen die an sie gestellten Ansprüche erfüllt haben. Diese Maßstäbe möglichst objektiv zu fassen ist das Ziel der Zentralmatura. Und es ist gut, dieses maßvoll verfolgen zu wollen.Maßvoll ist hier das entscheidende Wort. Denn auch dem Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung (BIFIE), der zentralen Ausgabestelle der Prüfungsfragen, können Hoppalas passieren. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn es wirklich nur bei Hoppalas bliebe, wenn die Verursacher der begangenen Fehler diese nicht mit impertinenter Arroganz zu übertünchen versuchen und wenn nicht der blinde Glaube an die allein selig machende Testung von Kompetenzen vorherrschte. Doch all das trifft nicht zu.Am wenigsten stimmt, dass es sich beim derzeitigen Probelauf der Zentralmatura um Missgeschicke aus verzeihbarer Unachtsamkeit handelte, um Pannen. Es ist vielmehr skandalös, aber wahr, dass dem BIFIE nicht bloß mehr oder weniger entschuldbare Lapsus unterliefen, sondern jedenfalls bei der Aufgabenstellung im Fach Deutsch ein unverzeihbarer Fauxpas.Es kann doch kein Einzelner gewesen sein, sondern es musste sicher ein Gremium entscheiden, welcher Text für die verlangte Interpretation ausgewählt wird. Und da entschied man sich für eine sowohl formal als auch inhaltlich erbärmliche Kurzgeschichte, die nichts in sich birgt, was eine Deutung verdient.Es wurde ein Text gewählt, der einen jungen Menschen, der ihn unvoreingenommen liest, nur ratlos machen kann. In ihm wird eine Situation geschildert, die vordergründig banaler nicht sein könnte: Jemand entschließt sich, eine Salatblätter fressende Schnecke zu zertreten – na und? Er entscheidet sich für die Nutzpflanze und gegen den Parasiten, so anmutig dieser auch sein mag.„Beschreiben Sie, in welcher Weise der Schriftsteller den Umgang mit Natur und Leben in seinem Text thematisiert“, verlangt der anonyme Aufgabensteller. Aber mehr als das eben Gesagte gibt der Text als Antwort nicht her. „Deuten Sie den Inhalt der Kurzgeschichte im Hinblick auf das Thema ,Umgang mit Natur und Leben‘, indem Sie auch auf den Symbolcharakter der Schnecke eingehen“, wird als weitere Aufgabe gestellt. So, als ob es sich um ein Umweltproblem handelte.Eine aberwitzige Irreführung. Denn nirgends wird den jungen Leuten verraten, dass der Autor ein der Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis affiner Schreiberling war, der sich nun, 1947, mit dieser ekelhaften Schrift zu exkulpieren versuchte.
Text 2:
Ein Text der Zentralmatura erregt alle aufrechten Linken – weil die Grünen darin ziemlich peinlich vorgeführt werden. Was aber natürlich nicht so gesagt wird.
Normalerweise vermerken es Lehrer immer gleich bei Autoren, wenn diese einmal bei den Nazi angestreift sind; worauf Schüler dann deren Texte mit „Pfui!“ abzuqualifizieren haben. Jetzt aber hat das bifie (warum immer) einen Text ohne Verweis auf die Nähe des Autors zu den Nazis ausgesandt. Worauf peinlicherweise viele Schüler recht positiv kommentiert haben. Der Text klingt nämlich genauso, wie wenn er von einem Grünen wäre. Und wird daher in Pawlowscher Art fast von allen an guten Noten interessierten Schülern positivst kommentiert. Damit zeigt sich in unangenehmer Deutlichkeit, wie nahe sich Grün und Braun in Wahrheit sind. Aber statt sich diesem interessanten Phänomen zu widmen, prügelt man lieber auf das bifie ein. Das man einst hoch gerühmt hatte, als es noch Gesamtschulpropaganda betrieben hat.
(Hier weiterlesen)
Aufgabenstellung 1:
Interpretieren Sie die in Text 1 getroffene Qualifizierung »ein der Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis affiner Schreiberling« im Zusammenhang mitfolgendem Gedicht desselben Autors:
Weg in die Dämmerung
Bald wills Abend sein.
Stumm steht das Geheg
Und ich geh allein
Den verschneiten Weg,
Der, vom Hang gelenkt,
Sich mit leisem Schwung
Leiser abwärts senkt
In die Niederung.
Birken, starr von Eis,
Pfahlwerk, unbehaun,
Dorn und Erlenreis,
Ein verwehter Zaun
Geben seiner Spur
Anfangs das Geleit,
Dann gehört er nur
Der Unendlichkeit -
Die verdämmernd webt
Und ihn unbestimmt,
Wie er weiterstrebt,
In ihr Dunkel nimmt.
Reif erknirscht und Schnee
Unter meinem Schuh.
Weg, auf dem ich steh
Dir gehör ich zu!
Wer des Lichts begehrt,
Muß ins Dunkel gehn.
Was das Grauen mehrt,
Läßt das Heil erstehn!
Wo kein Sinn mehr mißt,
Waltet erst der Sinn!
Wo kein Weg mehr ist,
Ist des Wegs Beginn!
Aufgabenstellung 2:
Interpretieren Sie Text 1 und Text 2 unter dem Aspekt des bekannten Zitates von Ingeborg Bachmann: »Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.«
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