Dienstag, 25. Februar 2014

Mises-Lektüre I: Die Scheidung der Individuen in Eigentümer und Nichteigentümer

… ist ein Ergebnis der gesellschaftlichen Arbeitsteilung.

Die Erkenntnis der sozialen Funktion des Eigentums ist die zweite große soziologische Leistung der klassischen Nationalökonomie und der „individualistischen“ Gesellschafts-theorie des 18. Jahrhunderts. Für die ältere Auffassung blieb das Eigentum immer mehr oder weniger ein Vorrecht der Besitzer, ein Raub am allgemeinen Gut, eine Einrichtung, die man ethisch als ein Übel, wenn auch mitunter als ein unvermeidliches Übel, anzusehen neigte. Erst der Liberalismus erkannte die gesellschaftliche Funktion des Sondereigentums an den Produktionsmitteln. Es bringt die Güter in die Verfügungs-gewalt derjenigen, die sie am besten zu verwenden wissen, es leitet sie in die Hand des besten Wirts. Daher ist nichts dem Wesen des Eigentums abträglicher als Besitz-privilegien und Produzentenschutz. Gebundenheit des Eigentums in jeder Gestalt, Bannrechte und andere Vorrechte der Erzeuger sind Einrichtungen, die geeignet sind, die gesellschaftliche Funktion des Eigentums zu hemmen. Sie werden vom Liberalismus mit derselben Entschiedenheit bekämpft, mit der er gegen jede Art von Unfreiheit des Arbeiters auftritt.

Der Eigentümer entzieht niemand etwas. Niemand kann sagen, daß er entbehrt, weil ein anderer besitzt. Man schmeichelt den Neidinstinkten der Masse, wenn man ausrechnet, wie viel mehr der Arme zu verzehren hätte, wenn es keine Unterschiede des Besitzes gäbe. Nur pflegt man dabei zu übersehen, daß die Größe der gesellschaftlichen Produktion und die des gesellschaftlichen Einkommens nicht starr und unveränderlich sind, vielmehr wesentlich von der Besitzverteilung abhängen. Wenn das Eigentum anders verteilt wäre, dann würden minder tüchtige Wirte, deren Wirken weniger ergiebig ist, einen Teil der Produktion kommandieren; das müßte die Menge der Produkte vermindern. Die Gedankengänge des Teilungskommunismus sind Atavismus aus Zeiten, in denen die gesellschaftliche Verknüpfung noch nicht bestand oder nicht jenen Grad erreicht hatte, den sie heute hat, und in der dementsprechend die Ergiebigkeit der Produktion auch weit niedriger war. Der landlose Mann einer auf tauschloser Eigenwirtschaft beruhenden Wirtschaftsverfassung denkt folgerichtig, wenn er in der Aufteilung der Äcker das Ziel seiner Wünsche erblickt. Der moderne Proletarier verkennt das Wesen der gesell- schaftlichen Produktion, wenn er ähnlichen Gedankengängen nachhängt.

Auch das sozialistische Ideal der Überführung der Produktionsmittel in die ausschließ- liche Verfügung der organisierten Gesellschaft, des Staates, wird vom Liberalismus mit dem Hinweis auf die Minderergiebigkeit der sozialistischen Produktionsweise bekämpft. Der Sozialismus der Schule Hegels versucht demgegenüber den Nachweis zu erbringen, daß die Entwicklung der Geschichte mit Notwendigkeit zur Aufhebung des Sonder-eigentums an den Produktionsmitteln führe.

Nach Lassalle besteht „im allgemeinen der kulturhistorische Gang aller Rechtsgeschichte eben darin, immer mehr die Eigentumssphäre des Privatindividuums zu beschränken, immer mehr Objekte außerhalb des Privateigentums zu setzen“. Die Tendenz zur Vermehrung der Freiheit des Eigentums, die man aus dem Gange der geschichtlichen Entwicklung herauszulesen suche, sei nur eine scheinbare. Wie sehr auch der „Gedanke der zunehmenden Aufhebung des Privateigentumsumfanges als eines wirklichen Gesetzes der kulturhistorischen Bewegung des Rechts für paradox gehalten werden“ könne, so bewähre er sich doch bei eingehender detaillierter Betrachtung. Diese hat nun Lassalle freilich nicht gegeben; er hat nach seinem eigenen Worte „statt solcher nur einige sehr oberflächliche Blicke hingeworfen“. Und auch nach Lassalle hat es niemand unter-nommen, diesen Nachweis zu erbringen. Doch wenn sich jemand gefunden hätte, der den Versuch gewagt hätte, so wäre damit noch lange nicht die Notwendigkeit dieser Entwicklung dargetan gewesen. Mit den Begriffskonstruktionen der vom Hegelschen Geiste erfüllten spekulativen Jurisprudenz lassen sich bestenfalls geschichtliche Ent- wicklungstendenzen der Vergangenheit erweisen; daß die entdeckte Entwicklungsrich- tung auch weiter verfolgt werden müsse, ist eine durchaus willkürliche Annahme. Erst wenn man in der Lage wäre, aufzuzeigen, daß die Kraft, die hinter der Entwick- lungstendenz steht, noch fortwirke, wäre der hypothetische Beweis, den wir benötigen, erbracht. Das aber liegt dem Hegelianer Lassalle ferne. Für ihn ist die Sache damit erledigt, daß ihm deutlich wird, „daß diese fortschreitende Verminderung des Privateigentumsumfanges auf nichts anderem als der positiven Entwicklung der menschlichen Freiheit beruht“. Denn nun hat er sein Entwicklungsgesetz in das große Hegel’sche Schema der geschichtlichen Entwicklung eingefügt und so alles geleistet, was die Schule verlangen kann.

Marx hat die Mängel des Hegelschen Entwicklungsscheines erkannt. Auch er hält es für eine nicht zu bezweifelnde Wahrheit, daß der Weg der Geschichte vom Sondereigentum zum Gemeineigentum führe. Doch bei ihm ist nicht wie bei Hegel und Lassalle von der Idee und von dem juristischen Begriffe des Eigentums die Rede. Das Privateigentum „in seiner nationalökonomischen Bewegung“ treibt zu seiner Auflösung fort, „aber nur durch eine von ihm unabhängige, bewußtlose, wider seinen Willen stattfindende, durch die Natur der Sache bedingte Entwicklung, nur indem es das Proletariat als Proletariat erzeugt, das seines geistigen und physischen Elends bewußte Elend, die ihrer Entmenschung bewußte und sich selbst aufhebende Entmenschung“. 
 (aus: Ludwig von Mises, Gemeinwirtschaft , Jena 1922, 298 ff.)

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