Heute vor genau sechzig Jahren, am 17. Juni 1953, geschah in der damaligen DDR das, was alle diktatorischen Regime der Welt am meisten fürchten: Das Volk verlor seine Angst. Ein System der Einschüchterung, bei dem niemand sich traut zu rebellieren, weil er fürchtet, damit allein zu stehen, brach auf einen Schlag in sich zusammen.Optimisten sagen dazu: »Das darf einfach nie mehr so kommen!« Realisten sagen: »Es ist heute exakt so.« Pessimisten meinen gar: »Das wird immer so sein ...«
Dieses Regime hatte von Anfang an gewusst, dass es vom Volk abgelehnt wurde. Es wusste, dass nur Wenige an seine Ideologie glaubten. Es wusste, dass es – und zwar völlig zu Recht – als Statthalter einer feindlichen Macht betrachtet wurde.
Das Volk wiederum wusste, dass die Früchte seiner Arbeit nicht ihm selbst gehörten, sondern von den Machthabern ins Ausland geschafft wurden – selbstredend nur aus den edelsten Gründen der Solidarität.
Dieses Regime konnte sich nicht leisten, die Menschen mit ihrer eigenen Meinung zu Wort kommen zu lassen. Es war darauf angewiesen, dass der einzelne Bürger sich hütete zu sagen, was er wirklich dachte: dass er seinem Nachbarn misstraute, dass er im Betrieb, in der Schule, in der Universität und überhaupt in der Öffentlichkeit nichts sagte, was der Lehre der Partei widersprach. Dass er sich sogar überlegen musste, was er am Mittagstisch zu seinen eigenen Kindern sagte.
Und es konnte diesem Regime auch nicht genügen, dass der Bürger der Partei nicht widersprach: Er musste von Zeit zu Zeit, und zwar auf Kommando, seine ausdrückliche Zustimmung bekunden, und das nicht irgendwie; sondern in ganz bestimmten vorgegebenen Sprachregelungen, in gestanzten Wortschablonen, in stereotypen Phrasen, die in aller Regel den blanken Unsinn enthielten.
Diese immergleichen Phrasen waren Teil eines Unterwerfungsrituals:
Gerade weil sie so dumm waren, gerade weil jeder wusste, dass sie mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatten, gerade weil jeder, der sie aussprach, sich dadurch zum Affen machen musste, und gerade weil es deswegen eine Selbsterniedrigung bedeutete, sie auszusprechen, waren sie das ideale moderne Äquivalent zum Gesslerhut:
Wer nicht mitmachte, war verdächtig. (Hier weiterlesen)
Make your choice.
Aus der Sicht des Historikers und zudem (Gott sei Dank) CH-Bürgers, ist es eine spannende Entwicklung, welche Hartlage perfekt und mit traumwandlerischer Sicherheit beschreibt. Eine der klarsten Darstellungen in Beantwortung der Frage, wie eine Demokratie in eine Diktatur umgewandelt werden kann. Dies Frage habe ich seit 1953 mir immer wieder gestellt. Meine Studien sind zu gleichem Ergebnis gelangt.
AntwortenLöschenIch sehe heute die Dinge ähnlich, wie Landsleute von mir sie - hier lebend - auch 1935 gesehen haben. Auch ich muß meine Landsleute jenseits deutscher Grenzen immer wieder bitten, sich nicht von den Fassaden täuschen zu lassen.
Ebenfalls danke für den Hinweis auf die großartige Rede, die ich verpaßt hätte, da ich bei M.K.-H. nicht mehr regelmäßig vorbeischaue!
AntwortenLöschenKreuzweis
Vielen Dank für den Link. My words exactly, wie der Lateiner zu sagen pflegt.
AntwortenLöschenTom