Sonntag, 4. Dezember 2011

»Wladimir Putins Stern verblaßt«

... mutmaßt »Die Presse«. Nun, bekanntlich leben Totgesagte länger, und Putin wäre nicht Putin, wenn er diese Niederlage nicht als Ansporn für seinen Präsidentschaftswahlkampf ansähe.

Im Jubel der westlichen Systempresse über das erhoffte Ende Putins gehen freilich einige Dinge unter, die einen eigenartigen Geschmack im Mund hinterlassen. So dürfte die zweitstärkste Kraft mit ca. 20% der Stimmen die Kommunistische Partei geworden sein. Man muß sich das einmal vorstellen: in einem Land, das von dieser Partei über siebzig Jahre lang in teils blutigster Unterdrückung und ständiger Mißwirtschaft kujoniert worden war, wählt ein Fünftel der Wähler freiwillig die Nachfolger dieser Verbrecher! Das ist etwa so, wie wenn bei den nächsten Bundestagswahlen die NDP 20% erhielte — nein, eigentlich ärger, den die KP ist ja keine harmlose Parteiattrappe des staatlichen Geheimdienstes ...

Weitere Pikanterie: in Rußland kamen Schirinowskis Nationalsozialisten (anders kann man diese Partei nicht bezeichnen, denn sie ist ebenso nationalistisch wie sozialistisch in ihrem Programm) auf den dritten Platz mit 13% der Stimmen. Na, da kommt doch gleich Freude auf ...

Wenn jetzt also die westlichen Medien schon über eine Entmachtung Putins zu träumen anfangen, dann sollten sie sich einmal nach den Alternativen fragen: ist ihnen denn wirklich ein kommunistisches Rußland lieber? Bei vielen von ihnen, die bis heute daran knabbern, daß sie für den beruflichen Erfolg ihre kommunistisch-maoistisch-trotzkistischen Altachtundsechziger-Ideale verraten haben, mag das insgeheim schon zutreffen (sie werden es freilich nicht einmal sich selbst gegenüber zugeben).

Bei jenen freilich, die sich — nicht einmal unglaubwürdig — als »Bürgerliche« verstehen, gewinnt der vermutlich verfrühte Jubel über Putins Untergang freilich noch eine Nuance dazu, die jedem freiheitsliebenden Menschen hierzulande zu denken geben sollte. Ist Putin und seine Regierung doch inzwischen das einzige — so halbwegs — demokratische Gegengewicht zum amerikanischen Unilateralismus, zu jenen totalitären Hirngespinsten eines »New World Order«, wie sie an der amerikanischen Ostküste mit Beharrlichkeit gesponnen werden! Bis jetzt Hirngespinste, deren Realisierung u.a. daran scheitert, daß Rußland mit seinen immer noch vielen Atomwaffen einfach nicht dazu zu erpressen ist — solange es eine diesen Plänen abgeneigte Regierung hat. Keinen Tag länger!

So versteht man auch den Haß, mit dem Putin in allen Kreisen der »Transatlanitker« (und wie alle diese Hochverräter eigenstaatlicher Souveränität an einen Hegemon USA sonst heißen mögen) angefeindet wird. Mit China, das durch seine Billionenforderungen ohnehin nur als siamesischer Zwilling der Amerikaner agieren kann, oder mit ihnen auch sich selbst in den Abgrund stürzen würde, gibt es da weniger Probleme. Chinesen sind phantasielos, bürokratisch, merkantil, obrigkeitshörig — und damit die geradezu ideale Ergänzung zum korporatistisch-hedonistischen Konsumismus der USA. Irgendwer muß die Knete ja erarbeiten, damit sie ein anderer aufbrauchen kann ...

Rußland ist da freilich anders. Die russische Seele in ihrer Irrationalität mag all diese glatten Zivilisationsprojekte nicht. Despotismus à la Rußland ist ein archaischer Blutrausch Iwan des Schrecklichen (oder Stalins). Despotismus à la USA spielt in Hollywood oder im War-Room des Weißen Hauses (ist doch fast dasselbe), und trägt pathetische Namen wie »Operation Neptune’s Spear« oder »Desert Storm«. Da werden Medien gebrieft, und Journalisten »embedded«, Verbündete bestochen und erpreßt, und alle denkbaren Rechtsnormen unter dem Vorwand, Freiheit und Demokratie zu bringen, gebrochen ...

Viele, ja die meisten mögen die Despotie der USA angenehmer finden, als die Rußlands. Dem ist bis dato kaum zu widersprechen. Nur gibt es keine Garantie, ja nicht einmal ein hinreichendes Maß an Wahrscheinlichkeit, daß eine weltweite unilaterale Despotie der USA deutlich weniger grausam wäre. Sie wäre anders. Technischer. Mehr »1984« als »Iwan« — aber macht das wirklich einen so großen Unterschied? Die Freiheit der Menschen ist jedenfalls nur durch nicht unilaterale Machtausübung denkbar. Denn wenn, wie es Lord Acton formulierte, Macht korrumpiert, und absolute Macht daher eben absolut korrumpiert, dann muß unser aller Ziel als Freiheitsfreunde sein, niemanden und keine Staatsmacht auch nur nahe an die Erringung absoluter Macht herankommen zu lassen!

Wäre es für Rußland besser, einen anderen als Putin an der Spitze zu haben? Wer sich die vorhandenen Konkurrenten ansieht, dem kommen da erhebliche Zweifel. Sjuganow — so ganz wirklich und im Ernst? Oder irgendeiner der von Putin verfolgten Oligarchen? Schirinowski etwa? Oder der greise Gorbatschow? Rußland ist momentan nicht mit großen Staatsmännern übersät, keine Frage!

Aber für jene Europäer, die nicht bloß im devoten Abnicken amerikanischer Politik (und braver Finanzierung ihrer Supermachtallüren) ihr Genügen finden, ist Putin zweifellos das, was man treffend als das »geringere Übel« bezeichnet. Und da in Politik und Geschichte nur selten das Gute, vielmehr zumeist das Übel die über unser Schicksal entscheidenden Fäden spinnt, ist die Wahl des geringeren Übels meist das einzige, was man mit besten Willen machen kann.

Update 5.12.2011 18:45

Kollege Zettel hat zu dem Wahlergebnis noch einige durchaus interessante Anmerkungen zu machen: »Marginalie: Hat Putin wirklich verloren?«. Sie basieren auf einer Analyse von Stratfor (genauer: auf einer Analyse einer gewissen »Senior Eurasia Analyst Lauren Goodrich« — ach Gottchen, Europa und Asien sind für diese Amis halt irgendwas jenseits des Ozeans, außerhalb von »God's Own Country« jedenfalls ... na, was soll's!) — und daß diese alles aus einem unilateral-globalistischen US-Blickwinkel kommentieren, muß man eben berücksichtigen.

Jedenfalls ein fundamentaler Aspekt über »gelenkte Demokratie« wird dabei herausgearbeitet: mehrere Parteien befinden sich in vorgeblichem Wettstreit, aber dahinter verbirgt sich bloß Einheitsbrei. Verschieden gefärbt, jedoch nahezu identer Inhalt — nicht unähnlich dem guten alten Wackelpudding. Quasi die »Götterspeise« für jeden Wähler ...

Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor?

1 Kommentar:

  1. "mehrere Parteien befinden sich in vorgeblichem Wettstreit, aber dahinter verbirgt sich bloß Einheitsbrei."

    Ja, manchmal sieht man eben die Despotie vor lauter Demokraten nicht.

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