Montag, 4. April 2011

»Grün ist eine Wohlstandskrankheit«

... titelt Dr. Chaos auf »Antibürokratieteam«, und bringt auch gleich ein überzeugendes Beispiel:

1986, nach Tschernobyl, sind [meine Eltern] mit mir und meiner Schwester auf die Kanaren ausgewandert, sicherheitshalber. Wir [...] wussten ja damals gar nicht, was das alles bedeutet, was die Wolke für Konsequenzen hat. Für uns Kinder war der Umzug natürlich herrlich [...] Zehn Jahre sind wir zusammen auf der Insel geblieben, dann bin ich zurück. (eine Grünwählerin aus Karlsruhe in der FAZ vom 03.04.2011)

In der Tat: man kann Grün in Abwandlung von Karl Kraus als die »Wohlstandskrankheit, für deren Therapie sie sich hält«, bezeichnen. Ich würde es sogar als »wohlstandsinzidierte Geisteskrankheit« präzisieren. Nur gegen Ende muß man Dr. Chaos entschieden widersprechen: dort, wo er auf Wikipedia verlinkend die pöhsen »Konservativen« als die »wahren« Gegner des Liberalismus brandmarkt. Sorry, aber das ist bloß ressentimentgeladener Unsinn — hier wird ein Popanz aufgebaut, um auf ihn theatralisch eindreschen zu können! Wo, bitteschön, hätte »der Adel« heute eine Stellung, die noch von »den Liberalen« gefährdet würde? Wo sind die konservativen Großgrundbesitzer, die von Korn- und anderen Schutzzöllen profitieren?


In die Stellung des Strukturkonservativismus sind doch längst die Apparatschiks der Gewerkschaftsbewegung und der hochsubventionierte, links/grün-dominierte Speckgürtel der Staatsleistungsprofiteure eingerückt. Und diese, nicht die paar übriggebliebenen Dinosaurier an echten Konservativen stellen den wahren, und durch seine Klassenmacht und Zahl fast unbesiegbaren Gegner liberaler Politik dar!

7 Kommentare:

  1. Einspruch.

    "Konservativ" ist eine windige Bezeichnung, hinter der sich Semi-Sozialismus und religiös verbrämter Totalitarismus verbirgt.



    Why I Am Not a Conservative
    By Nobel laureate F. A. Hayek



    Hans-Hermann Hoppe: The Intellectual Incoherence of Conservatism
    Mises Daily: Friday, March 04, 2005 by Hans-Hermann Hoppe
    http://mises.org/daily/1766

    dasselbe auf deutsch:
    Hans-Hermann Hoppe: Über Konservatismus und Libertarismus
    von Hans-Hermann Hoppe
    Heft 181/2004 von criticon

    http://www.hanshoppe.com/wp-content/uploads/publications/criticon181.pdf

    Religion ist Privatsache und hat in der Politik nichts verloren.

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  2. @xRatio:

    1. ist "konservativ" m.E. keineswegs "Semi-Sozialismus" (ich wäre sonst auch ein "Semi-Sozialist", und das käme mir doch recht lächerlich vor!). Und es gibt Konservative, die keineswegs religiös sind (denken Sie etwa an die früheren britischen Tories — über ihre "Religiosität" sagte Churchill eigentlich alles, als er seine Beziehung zur Church of England umschrieb: "Ich bin eher ein Stützpfeiler — ich stütze sie von außen").

    "Konservativ" ist letztlich die durchaus kluge Enscheidung, etwas Altes, das seine Brauchbarkeit bereits bewiesen hat, nicht gegen etwas Neues, das seine Brauchbarkeit erst beweisen muß, leichtfertig einzutauschen. Also letztlich eine skeptizistische Grundhaltung. Und einen skeptizistischen Totalitarismus bzw. totalitären Skeptizismus kann ich mir irgendwie nicht recht vorstellen — das hat etwas von heißen Eislutschern ...

    2. bei aller Wertschätzung für Hayek — aber ich halte seine Argumente in dem verlinkten Artikel für nicht besonders stichhältig (ohne jetzt den Artikel im Detail zu analysieren — das mache ich gerne einmal, wenn ich mehr Animo dazu habe)

    3. Hoppe schreibt neben einigem Gescheitem auch manch Verschrobenes ...

    4. Religion ist Privatsache. Ebenso wie Unreligiosität. Und hat wie jede Privatsache daher in der Politik dasselbe "verloren". Es gibt nämlich letztlich nur "Privatsachen" in der Politik, oder wissen Sie einen Bereich, der davon frei wäre? Es ist auch "Privatsache", ob ich als Kunstfreund z.B. die staatliche Förderung von klassischer Musik (bspw. durch Erhaltung der Wiener Staatsoper) unterstütze, e ist auch "Privatsache", ob die Bürger der Gemeinde A die Straße nach B oder nach C bevorzugt ausbauen. Über all das kann disputiert werden — aber es gibt gerade eben kein Diskursverbot. Politik ist Diskurs über das Nicht-Notwendige.

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  3. @Le Penseur

    Wenn Ihnen das Wort "Semi-Sozialismus" nicht gefällt, nennen ich es meinetwegen "Etatismus". Persönlich finde ich den ersten Begriff passender, da die ideologischen Frontlinien schon rein logisch (allein) zwischen Sozialismus/Etatismus und Liberalismus verlaufen. Zwischen Bejahung und Verneinung von Staatsgewalt gibt es keinen dritten Weg.

    Tertium non datur.

    Etwas Altes, das seine Brauchbarkeit bereits bewiesen hat, nicht gegen etwas Neues, das seine Brauchbarkeit erst beweisen muß, leichtfertig einzutauschen
    ist eine Sache des gesunden Menschenverstandes und der Wissenschaft. Mit "konservativ" im politischen Sinn hat das nichts zu tun. Das ist nur dessen raffinierte Tarnkappe, weil gegen Vorsicht und Umsicht bei Einführung von Neuerungen natürlich kein vernünftiger Mensch etwas haben kann.

    Weder Hayek noch Hoppe noch sonstwem, den ich so kenne, nicht mal Ludwig von Mises stimme ich immer und überall voll und ganz zu.
    Hier haben die beiden zwar vielleicht nicht in allen Details der Begründung, so doch im Ergebnis voll und ganz recht.

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  4. @Le Penseur

    noch zu Ihrer Zif 4:

    Was auch immer Menschen denken und wollen kann man im Kern oder Ursprung gern als "Privatsache" ansehen und bezeichnen.

    Reine "Privatsache" ist es allerdings nicht mehr, wenn mir jemand seine "privaten" Ideen (gewaltsam) aufzunötigen versucht und dazu z.B. den Staat benutzt oder benutzen will.

    Ich sehe also nicht ein, daß jemand, der keine Opern mag, für mein Opernvergnügen oder die Wiener Staatsoper zahlen soll.
    Noch schlimmer ist es mit der heutigen sog. "Kunst", dem sog. "Sport", Fußball, Olympia etc.pp.

    Auch für erwähnten Straßenbau und -unterhalt sollen diejenigen aufkommen (und am besten per Maut) bezahlen, die sie benutzen oder auch nur verfügbar haben wollen. Das hätte ganz nebenbei den Vorteil, daß der Straßenbau strikter am echten Bedarf orientiert und Milliardengräber wie (vermutlich) der Koralmtunnel gar nicht ernsthaft erwogen würden.

    Le Penseur, wenn Sie sich nicht bis zum Ende Ihrer Tage mit einem unauflöslichen logischen Widerspruch plagen wollen, kommen Sie um das Eingeständnis nicht herum, daß liberal oder gar "libertär" mit "konservativ" logisch unvereinbar ist.

    Außerdem haben wir auf normativer Ebene ja noch die Trennung von Religion und Staat. Religion hat, auch wenn sie "konservativ" getarnt daherkommt, in der Politik nichts verloren.

    "Wer eine Partei wählt, deren Programm für mehr steht als den Schutz von Person und Eigentum, macht sich des Autragsdiebstahls und der Auftragsgewalt schuldig."

    Roland Baader, radikalliberaler Christ(;-) ),
    der nicht nur keine Sozis sondern wohl auch keine "konservativen" Parteien wählen würde ;-)

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  5. @xRatio:

    Zwischen Bejahung und Verneinung von Staatsgewalt gibt es keinen dritten Weg.

    Doch. Den weitaus vernünftigeren Weg, die Staatsgewalt in sinnvoller Weise zu umgrenzen. Denn ich halte die anarchistischen Gedankenspielchen, die in radikal-libertären Kreisen gerne gepflogen werden, schlichtweg für Hirnblähungen. Das hat (wenigstens auf einem zivilisatorisch irgendwie akzepteablen Niveau) noch nirgends funktioniert, und alter Konservativer, der ich bin, glaube ich deshalb nicht, daß wir uns diesbezüglich auf Experimente ins Blitzblaue einlassen sollten.

    Nach Ihrer Definition wäre z.B. auch ein Ron Paul ein »Etatist« und damit mit Claudia Roth in einem Boot. Was ich, mit Verlaub, doch für etwas unsinnig halte ...

    Was Sie in Ihrem Schwarz/Weiß-Rasterdenken nicht erkennen können bzw. wollen, ist der Unterschied zwischen der (m.E. sehr vernünftigen) konservativen Position, daß es gewisse, der Willkür des Menschen ganz prinzipiell entzogene Prämissen gibt, und der sozialistischen, die von der beliebigen, rein aus seiner Ideologie abgeleiteten »Gestaltbarkeit« des Menschen ausgeht.

    »Liberal« (im klassischen sinne, oder, um Verwechslungen zu vermeiden: »libertär«) ist ja da facto nur eine Verfahrensweise, kein Inhalt. Sein »Inhalt« ist ja bloß, daß alle Inhalte ins Belieben des Individuums fallen — also eigentlich ein »Nicht-Inhalt«.

    Ich halte diese Attitüde (so sympatisch sie mir auf den ersten Blick auch ist!) für einen fundamentalen Irrtum: denn natürlich muß es inhaltliche Prämissen geben, sonst landet man im selben Abseits, in dem sich auch die Kant'sche Ethik des kategorischen Imperativs befindet: mit dieser Ethik können Sie, wenn sie nur wollen, alles, auch das haarsträubendste, »begründen«.

    Le Penseur, wenn Sie sich nicht bis zum Ende Ihrer Tage mit einem unauflöslichen logischen Widerspruch plagen wollen, kommen Sie um das Eingeständnis nicht herum, daß liberal oder gar "libertär" mit "konservativ" logisch unvereinbar ist.

    Sehe ich anders. Es ist m.E. sogar eine sinnvolle Ergänzung. Der Konservative in mir sagt, was zu tun ist ( bessergesagt: meistens nur »was nicht«!), und der Libertäre befindet darüber, wie.

    Was ich hingegen wirklich nicht verstehe, ist der Ansatz der »left libertarians«. Die könnten sich m.E. gleich in »hedonistische Proleten« umbenennen. Ich gebe scohn zu: mit einem deutlich überdurchschnittlichen intellektuellen Niveau. Aber im Herzen ihres Wesens sind sie mir durch die Bank als egoistische Arschlöcher entgegengetreten, die als geeichte Libertäre von allem den Preis, aber von nichts den Wert kennen ...

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  6. @Le Penseur

    ...die Staatsgewalt in sinnvoller Weise zu umgrenzen...

    Soweit ich Gewalt bejahe, kann ich sie nicht gleichzeitig verneinen, ihre Bejahung leugnen. Mehr meine ich erst mal gar nicht.

    der Willkür des Menschen ganz prinzipiell entzogene Prämissen

    Und die wären?? - Hier wird's kritisch! :-)

    Die liberale Position die auch von mir geteilt wird, ist Ihnen sicher bekannt:

    Gewalt und Betrug sind strikt untersagt und werden notfalls massiv bekämpft. Ansonsten soll jeder machen was er will.

    Die eher von Juristen als im Grundsatz präzisierungsbedürftige Maxime lautet:

    Die Freiheit eines jeden endet genau dort, wo Gewalt oder Betrug beginnen.

    Um das zu gewährleisten brauchen wir -leider- einen Gewaltmonopolisten. Ob man den Aufpasser als "Staat" oder wie die Radikalliberalen (Hoppe, Rothbard, Baader) als "Versicherung" bezeichnet, ist mE ein überflüssiger, weil sachlich vollkommen belangloser Streit um Worte.

    Auch wenn Sie als "Konservativer" weitergehende Gewalt befürworten, werden Sie diesem Minimalprogramm wie wohl fast jeder andere im wohlverstandenen Eigeninteresse zustimmen müssen.

    Weitergehende Gewalt-Ambitionen sind nur sehr schwer, wohl überhaupt nicht zu rechtfertigen.

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  7. @xRatio:

    Gewalt und Betrug sind strikt untersagt und werden notfalls massiv bekämpft. Ansonsten soll jeder machen was er will.

    Das ist ein sicher schöner theoretischer Stehsatz, nur in der Praxis leider defizient. Obwohl ich mit Manfred Kleine-Hartlage nun nicht in allen Dingen konform gehe (seine Zusammenfasung von Liberalismus und Sozialismus sehe ich nicht so radikal und habe mich damit in div. Postings auch auseinandergesetzt), son finde ich doch , daß dieser Artikel eine Menge Wahrheit enthält. Was zugleich auch Ihre Frage

    Und die wären?? - Hier wird's kritisch! :-)

    teilweise beantwortet (ohne daß ich Kleine-Hartlage hier in jedem Punkt zustimmen würde — aber grosso modo paßt es schon).

    Das Problem des 1000%-Libertären ist halt, daß er in seinem Freiheitsdrang alle positiv-inhaltlichen Vorgaben als unzumutbar ablehnt — obwohl dieses Gesellschaftsbild etwa so »realistisch« ist, wie die Vorstellung eines Restaurants ohne Speisekarte. Auch wenn ich im gepflegt-bürgerlichen Restaurant selbstverständlich Sonderwünsche erfüllt bekommen: ohne Speisekarte geht's einfach nicht ... idem im Leben überhaupt.

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