Mittwoch, 28. Juli 2010

Schuld sind immer die anderen

Im Zweifelsfall: "die Geldgier der Veranstalter" bzw. "die Inkompetenz der Behörden". Nie-nie-niemals natürlich "die Betroffenen". Und die über jene, die das betreffende Schicksal betraf, Betroffenen selbstredend ebensowenig.

In Deutschland ist Tragödienstimmung angesagt. Kaum hat sich das Land davon erholt, daß ihre multikulturelle Mannschaft (die nach den neuesten Richtlinien des Wahrheitsministeriums wegen des flagranten Sexismus, der aus jeder Pore dieses verruchten Wortes quillt, natürlich nicht mehr so heißen darf!) aus der Fußball-WM geschossen wurde (obwohl sie doch "so schön" gespielt hatte), kaum wurde die sommerliche Hitze, die einen fast hoffen ließ, daß die globale Erwärmung doch keine Datenfälschung der University of East-Anglia ist, sondern schauerliche Tatsache, die uns endlich zur Totalökologisierung aller Lebensbereiche veranlaßt, durch kühle Regenschauer abgelöst, kommt es schon zur

Tragödie von Duisburg

... bei der bekanntlich zwanzig feiernde fröhliche junge Menschen von ihren feiernden fröhlichen jungen Mitmenschen totgetrampelt wurden (und ein paar hundert feiernde fröhliche junge Menschen verletzt). Und schuld ist (s. oben) "die Geldgier der Veranstalter" & Co. ... Deutschlands frischgebackener Bundespräsident spendet — ganz betroffen — trostreiche Worte à la
„Eine solche Katastrophe, die während eines friedlichen Festes fröhlicher junger Menschen aus vielen Ländern Tod, Leid und Schmerz verursacht, ist furchtbar“, sagte Wulff der „Bild am Sonntag“. „Wie viele Menschen in unserem Land, die von diesem Unglück erfahren, bin ich mit meinen Gedanken bei den Opfern der Tragödie und allen ihren Angehörigen und Freunden. Ich hoffe, dass ihnen und allen Verletzten schnelle und wirksame Hilfe zuteil wird und die Ursachen rückhaltlos aufgeklärt werden.“
Jetzt wissen wir endlich, was eine Katastrophe ist: wenn bei einem Ereignis knapp doppelt soviel Leute sterben, wie tagtäglich im deutschen Straßenverkehr. Ob der Herr Bundespräsident demgemäß täglich halb so betroffen (und in seinen Gedanken halb bei den Opfern) ist angesichts der täglichen Verkehrstoten? Wir werden es mangels BamS-Interview zu diesem Thema wohl nie erfahren ...

Doch in die medial verstärkte Betroffenheitssymphonie mischen sich auch andere, rauhere Töne. So fragt "Karl Eduards Kanal" nicht ohne Berechtigung:
Ist ein Flugzeug abgestürzt, ein Autofahrer besoffen in eine Menge gerast, ist eine Bombe explodiert? Nein, die Leute waren einfach zu bescheuert, gesittet durch einen Zugang zu schreiten, ohne sich gegenseitig totzuquetschen und da ging es noch nicht mal ums nackte Leben, wegen Brand oder Flut oder weil eine Herde Stiere auf sie zuraste, sondern nur um die Teilnahme an einer Drogen- und Sexparty. Das ist die Ursache, Herr Bundespräsident. Bescheuertheit. Nichts anderes.
Hart, aber treffend gesagt.

Und "Netzwerkrecherche" bringt in einem höchst lesenswerten Artikel Zitate aus Statements von Eva Herman und Wiglaf Droste. Letzterem verdanken wir — bei aller Tragödienstimmung, die uns nach Meinung der Systemmedien jetzt pflichtgemäß zu erfüllen hat — die wohl erheiterndste Charakterisierung des Phänomens Oliver Pocher:
»Unterstützt von seiner Lebensgefährtin Sandy Meyer-Wölden, McFit und Bild.de« war Oliver Pocher aufgeboten, bei der Love Parade zu moderieren. »Ein Traum wird wahr: Ich werde aus dem Auge des Hurrikans der wummernden Bässe die größte Party der Welt in die Wohnzimmer bringen.« Verkündete Pocher, Kretin aus Herkunft, Neigung und Profession. In dieser Kreatur ist die Gemeinheit und Niederträchtigkeit einer ganzen WM-Fanmeile gebündelt.
Stimmt ganz genau, Herr Droste! Besser kann man diese Kreatur wirklich nicht charakterisieren ...

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P.S.: eine Love-Parade kann an einem Nachmittag circa ebensoviele Opfer schaffen, wie alle priesterlichen Kinderschänder der Kirche zusammengenommen in einem halben Jahrhundert geschafft haben. Fortschritt ist Akzeleration. Oder so ähnlich.

4 Kommentare:

  1. freiheitistunteilbar28 Juli, 2010 16:39

    Ist ein Flugzeug abgestürzt, ein Autofahrer besoffen in eine Menge gerast, ist eine Bombe explodiert? Nein, die Leute waren einfach zu bescheuert, gesittet durch einen Zugang zu schreiten, ohne sich gegenseitig totzuquetschen und da ging es noch nicht mal ums nackte Leben, wegen Brand oder Flut oder weil eine Herde Stiere auf sie zuraste, sondern nur um die Teilnahme an einer Drogen- und Sexparty. Das ist die Ursache, Herr Bundespräsident. Bescheuertheit. Nichts anderes.

    Zugedröhnt und notgeil erlagen etwa 20 Sodomisten dem Sardinenbüchsencharme einer Engstelle. Sie konnten sich einfach nicht beherrschen und mussten unbedingt Panik bekommen, diese bescheuerten Hedonisten.

    Fragt sich nur, ob sie Panik bekamen, weil sie zugedröhnt und notgeil waren oder weil über 1 Mio Menschen durch ein Nadelöhr zu quetschen, durchaus irrationale Ängste in Menschen wecken könnte.

    Da hat Karlchen Eduart auf seinem Kanal ziemlich hanebüchen simplifiziert.

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  2. @freiheitistunteilbar:

    Sie wissen aber schon, daß unweit von Duisburg, nämlich in Köln, vor nicht allzu langer Zeit ein ähnlich großer Menschenauflauf beim Weltjugendtreffen beisammen war. Die waren allerdings, nehme ich mal an, nicht zugedröhnt und notgeil (oder konnten derlei Affekte wenigstens hinreichend unter Kontrolle halten) — eh voilà: es gab keine Massenpanik und keine Toten. Und kein Rettungsfahrer mußte sich über steinewerfende Besucher wundern.

    Ich glaube, dieser Unterschied verrät schon was. Daß nämlich einseitige Schuldzuweisungen an die geldgierigen Veranstalter und unfähigen Behörden nicht am Platz sind, sondern der Mob bescheuerter Hedonisten daran eine gehörige, nein, vermutlich sogar eine höchst ungehörige Portion an der Katastrophe mitschuldig war!

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  3. freiheitistunteilbar31 Juli, 2010 19:07

    @Le Penseur

    Umstände miteinander zu vergleichen, die nicht miteinander vergleichbar sind, sowohl von der Menschenmenge, ihrer Konzentration an einer bestimmten Stelle und der dadurch entstandenen Panik, lassen Ihre Darstellung ziemlich einseitig und oberflächlich erscheinen.

    Außerdem, bei einer irrationalen Panik von Schuld zu sprechen, ist ein wenig abgeschmackt, wenn nicht sogar pietätlos. Ein paar ungünstige Faktoren führten zu dieser Katastrophe, aber das Umtriebigkeit zur Panik geführt hätte, wäre ein abenteuerlicher Ansatz.

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  4. Ich erlaube mir eine Kopie meines Kommentares bei Karl Eduard, weil er ein klein bißchen auch an "freiheitistunteilbar" gerichtet ist:

    ... selbst bei innerstädtischen Verkehrsunfällen unter Alkoholeinfluß sind die Fragen zu stellen: Warum hat der OB keine autofreie Stadt durchgesetzt? Wieso läßt er in seiner Stadt Alkohol ausschenken?

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