Sonntag, 29. September 2024

Eine Reiseempfehlung

von Franz Lechner
 
 
Vielleicht erweckt das Thema Architektur und Städtebau auf diesem Blog mehr Interesse als Musik. Probieren wir es wenigstens ...


Was ist die schönste Barockstadt Mitteleuropas? Ich meine nicht Prag, Wien, Bamberg etc, also keine gewachsenen alten Städte mit großem barockem Bestand, sondern eine reine, dh im Barock gegründete und von diesem geprägte Stadt. Nicht einmal Dresden würde ich gelten lassen, denn es ist im Kern älter (und überdies — unbesehen der Kriegszerstörung — in meinen Augen ein wenig überbewertet). St. Petersburg etwa wäre ein, dh der Spitzenkandidat, es liegt allerdings nicht in Mitteleuropa.

Mein Favorit, sogar mein unangefochtener Favorit ist Potsdam. Bekanntlich hat diese Stadt keinen besonders guten Ruf, aber das sollte uns Penseuristen nun wahrlich nicht abschrecken. Zugegeben — die Ereignisse in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren nicht sehr einnehmend — Tag von Potsdam, Nacht von Potsdam, Potsdamer Konferenz ... wir sind uns wohl einig, dass es all dies besser nicht hätte geben sollen. Für uns als potentielle oder tatsächliche Touristen spielt die sogenannte Nacht natürlich die Hauptrolle - die Garnisonkirche (Tag) steht nicht mehr (oder nicht nicht wieder, Nacht!), und auf Schloss Cecilienhof kann man getrost verzichten (Konferenz).

Also zur Nacht, gemeint ist der 14. April 1945, und hier die Zeit zwischen 22 und 23 Uhr. Damals unternahm die RAF (Royal Air Force, nicht Rote Armee Fraktion) einen Luftangriff auf die bis dahin unzerstörte Stadt. Zu diesem Ereignis gibt es zwei Legenden und bzw eine Reihe an ungenauen Informationen, sodass es nicht schaden kann, näher darauf einzugehen. Die traditionelle deutsche Geschichtsschreibung (egal ob BRD oder DDR bzw vor oder nach 1990), soweit nicht durch Briten- und Churchillhörigkeit angekränkelt — sprich: von Sinnen —, sieht diesen Angriff als erfolgreiches Unterfangen, die Potsdamer Innenstadt und ihre Kulturdenkmäler zu zerstören und somit als typisches Beispiel eines britischen Terrorangriffs. Jüngste Tendenzen hingegen gehen dahin, den Angriff als rein militärisch motiviert zu rechtfertigen. Paradoxerweise haben beide Seiten teilweise recht. 

Zunächst das Erfreuliche: Die Auswirkungen dieses Angriffs werden stark überbewertet. Die historische Potsdamer Innenstadt hat den II. Weltkrieg und die DDR-Jahre gut zur Hälfte überlebt. Damit ist grob gesagt die "Altstadt" gemeint, dh die barocke Residenzstadt ohne die Parks und Schlösser (die im Großen und Ganzen ja überhaupt verschont blieben). Die meisten Bomben schlugen tatsächlich um den Bahnhof und in vorstädtisches Industriegebiet ein, darüber hinaus erfreulicherweise ins Wasser, sprich in die südlichen Havelteiche, sowie auf eine unbebaute Insel. Der Angriff war schlicht und einfach ein ziemlicher Fehlschlag, was auf den Nordwestwind zurückzuführen ist, der die Zielmarkierungen, die Augenzeugen über dem Schlosspark von Sanssouci verorteten, nach Südosten abtrieb. Daraus ist nun allerdings zu folgern, dass nicht nur die "Alstadt" (wie tatsächlich teilweise erfolgt), sondern zusätzlich auch die Schlösser von Sanssouci als kulturelle Ikone zerstört hätten werden sollen. Die gigantische Anzahl der abgeworfenen Bomben, die jener des ersten Angriffs auf Dresden entspricht, untermauert diese These. Es handelt sich somit um einen noch viel abscheulicheren Akt eines britischen Kriegsverbrechens, als bisher angenommen — knapp vor Kriegsende sollte noch Kulturerbe von Weltrang zerstört werden.

Aber auch die Auswirkungen auf die tatsächlich hart getroffene südöstliche "Altstadt" werden letztlich überschätzt - Potsdam wurde, wie andere Städte, gegen die Rote Armee sinnlos verteidigt, weshalb dort später noch einiges in Trümmer fiel. Den Rest besorgte die Abrisswut der DDR, die, auch das ist weitgehend unbekannt, nach extrem bemühten Ansätzen in den 50er Jahren, denen wir die Wiederherstellung zentraler Ensembles um die Wilhelm-Staab-Straße verdanken ("erste Barockstraße der DDR"), ins völlig Gegenteil umschlugen und zentrale, substanziell erhaltene Wahrzeichen wie die Garnisonkirche und das Stadtschloss sprengten (und darüber hinaus angblich an die 25 km ausgebrannte, aber als solche stehengebliebene Barockfassaden von Bürgerhäusern).

Nun gut - was soll 's, könnte man meinen, hin ist hin, egal wer es letztlich zu verantworten hat. Andererseits ... hat die Stadt eben doch überlebt, vor allem das britische Bombardement, regelmäßig die schlimmste aller denkbaren Heimsuchungen. Zunächst ist, wie gesagt, die halbe Altstadt stehengeblieben, was viel ist und schon im Zusammenspiel mit den Schlossgärten eine Reise wert wäre. Dazu ist auch im heimgesuchten Ostteil manches erhalten bzw von der DDR wiederaufgebaut worden. Und, nicht zuletzt wurde das Allerwichtigste an Verlorenem in jüngster Zeit im Zuge eines beispiellosen Wiederaufbauprojekts rekonstruiert. Die Größe dieser Leistung ist aus ausländischer Sicht kaum zu ermessen, denn der Widerstand des linken Gesindels, das Deutschland stärker denn je im Würgegriff hat, war gerade in Potsdam exorbitant und noch um ein Vielfaches größer als im postum zur verdientermaßen zerstörten "Täterstadt" hochstilisierten Dresden. Die Hartnäckigkeit, mit der sich die Linke um jeden heruntergekommenen und ohnedies qualitätslosen DDR-Blick krallt, trägt in ihrem Fanatismus, der nur in einem verrückt gewordenen Land wie Deutschland denkbar ist, bereits infantile Züge. Aktuell ist er nur noch anhand des sogenannten Rechenzentrums erlebbar, das einen Wiederaufbau der Garnisonkirche nicht unbedingt unmöglich macht, aber doch hinreichend erschwert. Immerhin steht ihr bedeutender Turm weitestgehend wieder, und der Rest wird auch noch folgen.

Somit hat Potsdam als Ganzes wieder so etwas wie ein Gesicht gewonnen, und ein unermesslich Schönes noch dazu. Die Altstadt ist zweigeteilt: der grob gesagt nördliche Teil stammt aus der Zeit des Soldatenkönigs und wird von eher gleichförmigen, schlichten, aber stilvollen Soldatenhäusern geprägt. Der südliche Teil wurde von seinem Sohn Friedrich (dem Großen also) umgebaut, dh auf dessen Weisung, mit dessen Geld und anhand seiner Vorgaben und auch Skizzen. Friedrich verlangte schlicht den Nachbau von konkreten Fassaden der italienischen Renaissance, wobei er Palladio nebst einigen römischen Kollegen bevorzugte. Diese scheinbaren Paläste waren schlicht Bürgerhäuser, zumeist für mehrere Parteien, und verfügten hinter der Prunkfassade keinerlei feudalen Hintergrund. Hunderte von Häusern wurden auf diese Weise neuerrichtet bzw umgebaut. Das Ergebnis ist von einzigartiger Faszination. Nunmehr sind die wichtigsten dieser "Paläste" am und um den besonders geschundenen Alten Markt wiederhergestellt und ergeben mit dem gleichfalls wiederhergestellten Stadtschloss und der erhaltenen Nikolaikirche eine großartige Piazza, die ihresgleichen sucht. Und nicht nur das: auch das im Westen anschließende Straßensystem ist/wird wiederhergestellt, womit eine Verbindung zum erhalten gebliebenen Neuen Markt geschaffen ist, die über die seinerzeit berühmte "Achtecken-Kreuzung" laufen wird. Dahinter schließen dann jenseits des teilweise wieder freigelegten "Kanals", der vom DDR-Regime zugeschüttet worden war, die flächig erhaltenen Altstadtteile an. Allein die zentrale "Brandenburger Straße", welche die katholische Peter- und Paulskirche mit dem Brandenburger Tor (viel schöner als das Berliner Pendant!) verbindet, kommt auf eine Länge von knapp 800 Metern und ist durchgehend erhalten geblieben.

Potsdam wird aber in erster Linie mit Schloss und Park Sanssouci assoziiert. Allein für den Park als Ganzen mit all seinen Schlossbauten (allen voran das großartige Neue Palais) benötigt man mehr als einen Tag. Sanssouci ist aber nur ein Park unter vielen, ganz abgesehen davon, dass dieser Park eigentlich kein klares Ende hat und in andere Parks mit anderen Attraktionen übergeht. Im Norden der Stadt erstreckt sich die skurrile Kolonie Alexandrowka, von wo es über den Pfingstberg mit einem sehenswerten Belvedere abwärts in den Neuen Garten (mit vielen Schlössern und Lustbauten) geht, der landschaftlich von einzigartiger Schönheit ist und anhand der ihn umgebenden Seenlandschaft an eine imaginäre südböhmische oder gar russische Landschaft erinnert. Jenseits dieser Seen geht es munter weiter, Babelsberg, Sacrow, und schließlich Klein-Glienicke und die Pfaueninsel, was beides an sich schon zu Berlin gehört, was aber völlig wurscht ist. Alles übersät mit Schlössern und Lustbauten...

Die Seen-, Park- und Schlosslandschaft erstreckt sich nach allen Seiten weiter und ist für Otto Normal-verbraucher touristisch nicht bewältigbar. Irgendwann wird diese Fülle an Barock und Klassizismus eh zu fad werden. Dann empfiehlt sich ein Ausflug in die nahegelegene Stadt Brandenburg, eine weitgehend erhaltene märkische Mittelstadt mit wuchtigen gotischen Backsteinkirchen und vielen alten Gassen, die an das ferne Breslau erinnern. Und schließlich kann man den einen oder anderen Tag auch in Berlin verbringen. Schloss Charlottenburg etwa ist kaum eine halbe Bahnstunde entfernt. Inmitten des kaputten Deutschlands ist Potsdam so etwas wie eine heile Welt, ein Flecken Erde, auf dem man gerne leben würde. Hier gibt es die prachtvollsten Villen inmitten einer intakten traumverlorenen Sehnsuchtslandschaft, unberührt von Autobahnlärm und Windradlwahn. Wäre ich Deutscher, ich würde von keiner toscanischen, sondern von einer Potsdam'schen Villa träumen.

Hier ein Video mit einer Fülle an schönen Bildern, anhand derer sich jeder von der Richtigkeit meines Lob-preises überzeugen kann: 
 
 

6 Kommentare:

  1. https://www.nius.de/gesellschaft/potsdam-kauft-tampons-fuer-52-000-euro-kuenftig-sollen-sie-in-allen-oeffentlichen-gebaeuden-verfuegbar-sein/80e280f7-9ab4-4458-a8a1-335f4900e2b6 Unbedingt, dort muss man hin!

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  2. Vielen Dank für diese Potsdamer Laudatio! Wir waren sofort nach der Wende dort, als noch russisches Militär in palladioartigen Villen hauste und am Zusammenpacken war. Dann waren wir viele Jahre später dort: Das Stadtschloss war fertig, der Turm der Garnisonkirche noch nicht angefangen. Viele Tage haben wir in den Parks und Schlössern verbracht, in denen wir teilweise noch Führungen im Geist der DDR erlebt haben. Als Österreicher haben wir aber fleißig mit den Potsdamern diskutiert.

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  3. Mein Traum: die Mauer wieder hochziehen und dann Potsdam zur Hauptstadt eines Heiligen russischen Reiches deutscher Nation machen. Man wird ja noch träumen dürfen. Das wäre jedenfalls ein Deutschland, in dem sich gut und gerne leben lässt. Und Mutti darf dann statt in Potsdam in Workuta leben. Vielleicht nicht so gut und gerne, aber sinnvoller als bisher. 😉

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    1. Sehr geehrter Anonym, mit dem inzwischen endemischen Wunsch von 50% der Ossis, ihre Mauer, den Schutzwall gegen den faschistischen Wertewesten wieder zu kriegen, bin ich sehr einverstanden. Ich gönne euch euer ersehntes Glück in eurem Heiligen russischen Reich. 😉

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  4. Wenn ich die Wahl hätte zwischen der Ostzone der Siebziger, mit allen Übeln, und der heutigen Situation, würde ich in der Tat ersteres bevorzugen. Nur ist das eitel Mumpitz, infantil, Eskapismus, funktioniert noch nicht einmal theoretisch. Mit Theodor Fontane: Wat soll der Unsinn!

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  5. Fünfzig Prozent? Nach Gustave le Bon sind achtzig Prozent der "am demokratischen Prozess Beteiligten" gelinde, oder auch heftig, bescheuert. Ist halt so. Physiologisch.
    Der brave Soldat Schwejk: "Jeder Mensch kann nicht gescheit sein, Herr Obrlajtnant. Die Dummen müssen eine Ausnahme machen, denn wenn jeder klug wäre, dann wäre soviel Intelligenz in der Welt, dass jeder Zweite davon ganz bled sein mecht' ..."

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