Sonntag, 1. September 2024

Anton Bruckner, Messe No. 3 in f-moll

von LePenseur
 
 
Lang ist's her (viel aufs halbe Jahrhundert fehlt nicht mehr ...), daß ich — im schwarzen Anzug inmiten der Chor-Bässe stehend — versuchte, beim Beginn des Kyrie für den ersten Ton, das "große F" (noch dazu piano, was die Sache nicht leichter macht), mehr als nur warme Luft in den Konzertsaal zu bringen ... Es ist ein Verbrechen, wenn ein Komponist arme, schlecht- bis unbezahlte Choristen auf solch perfide Weise quält! Später, wenn man sich warmgesungen hat, braucht es für diesen Ton keine Don-Kosaken-Talente, den schafft man problemlos ... aber als erster Ton überhaupt? Eine Frechheit, ehrlich!

Dieses vorausgeschickt sei natürlich konzediert, daß für Genies (zu denen Bruckner wohl nicht nur nach der Meinung unseres geschätzten Kollegen Lechner zu zählen ist) vielleicht andere Konzessionen zu machen sind, als wenn ein Nobody auf den krausen Gedanken verfiele, eine f-moll-Messe mit solch einem Ton anzufangen — aber zum Glück für die ohnehin vom Aussterben bedrohte Spezies von Choristen hegt wohl keiner Pläne in diese Richtung ...


Das obige Video zeigt uns zwar verdienstlicherweise die Partitur des Werkes, verschweigt uns jedoch die Interpreten, was hiermit aus der Kommentarfunktion von Youtube nachgeholt werde:
Orchestre des Champs-Élysées; RIAS Kammerchor. Dirigent: Philippe Herreweghe. Solisten: Ingela Bohlin, Sopran; Ingeborg Danz, Alt; Hans Jörg Mammel, Tenor; Alfred Reiter, Bariton.
Interessant die Latte an Versionen/Revisionen, in denen dieses Werk existiert: 1868; 1876, 1877, 1881/1883, 1890/1893 — eine Spanne von einem Vierteljahrhundert von der ersten bis zur letzten Fassung ist ja keine Kleinigkeit! Und wenn natürlich nach so langer Zeit mein Gedächnis auch nicht ganz zuverlässig ist, so ist mir beim Anhören der hier eingestellten Interpretation manches doch irgendwie ein wenig "ungewohnt" vorgekommen — vielleicht war in den 1970er-Jahren eine andere Versionen "gängiger", in der ich damals mitsang. 
 
Wie auch immer: das Publikum war's zufrieden und nach einer Stunde Stehens auf dem Podium war man als Chorist geneigt, den eitlen Dirigenten zu verfluchen, der immer wieder aufs Podium kam, um so viel wie möglich an Applaus herauszuschinden (Orchestermusiker haben's besser: die müssen nur zum Schluß ein paarmal aufstehen und dürfen sonst sitzen — auch für die Solisten gab es Stühle ...).
 
Ich weiß nicht, ob das Konzert damals aufgenommen wurde und ob diese Aufnahme gar noch irgendwo in einem Archiv schlummert, möglich wäre es ja ... und interessant, wie wir uns damals "geschlagen haben". Daß ich nach diesen Konzert-Erfahrungen das Werk auch heute noch immer mit einer gewissen "Reserve" betrachte, wird nicht verwundern. Das Konzert war ja nur der Schlußpunkt unter ein monatelanges Projekt mit unzähligen Proben, teils für die einzelnen Stimmen, teils für den ganzen Chor mit einem ins Klavier hämmernden Dirigier-Studenten, der den Orchesterpart simulierte, und dann die Proben mit dem Orchester und den Solisten irgendwann hängt's einem halt bei den Ohren raus ....
 
Wären da nicht die losen Sprüche des Dirigenten gewesen, wir wären wohl der Verzweiflung anheimgefallen. Aber die Stimmung hob sich, wenn der bspw. zu den (gerade quälend falsch gesungen habenden) Sopranen hinwarf: "Meine Damen, Sie singen so falsch, daß es einem die Schuhe auszieht ... ach was! Die Socken auch noch! Man möcht' auf die Zehen schwarze Punkte malen und mit ihnen Domino spielen ..." Oder einmal bei den ihm zu "verhalten" tönenden Damen: "Meine Damen! Sie müssen mehr aufmachen! Das können Sie ja sonst auch ..." Heute wäre er nach so einer Bemerkung wohl seinen Job los. Damals lachten alle (vor allem natürlich die Chor-Herren, insbesondere wenn sie die eine oder andere Dame und ihre angesprochenen Talente genauer kannten) ...

Genug der Erinnerungen! Kollege Lechner wird bemängeln, daß ich mich hier viel zu wenig (d.h. eigentlich überhaupt nicht!) um die musikalische Substanz des Werkes gekümmert habe. Nun, dem kann durch die Lektüre des bezughabenden, ausführlichen Wikipedia-Artikels abgeholfen werden, dem man manch überraschendes Detail entnimmmt: etwa, daß sowohl Franz Liszt, wie auch Johannes Brahms und sogar Bruckners "Intim-Feind", der Musiktheoretiker und -kritiker Hanslik, sich lobend äußerten — Brahms  dabei sogar mit so viel Enthusiasmus, daß Bruckner ihm persönlich gedankt hat, wie berichtet wird.

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