von Franz Lechner
Heute begehen wir die 75. Wiederkehr des Todestages von Hans Pfitzner, der zu den mE schwierigsten Musikerpersönlichkeiten des 20. Jahr-hunderts zählt, vor allem was seine Einordnung und Bewertung betrifft. Ich muss ehrlich sagen, dass ich über ihn nicht sehr viel wusste, und dass er mir aus einem an und für sich sehr platten Grund unsympathisch war: Pfitzner hat sich stets höchst abfällig über Bruckner geäußert und dabei typische Symptome "klassischen Nichtverstehens" an den Tag gelegt, etwa wenn er einzig die Scherzo-Sätze als gelungen ansah...
Gut, das ist kein Argument, wie einzuräumen ist... Allein schien mir dies den Ruf Pfitzners als hartgesottenen Reaktionär mehr als gerecht zu werden. Irgendwann hatte ich mir dann dennoch auf Rat befreundeter Musiker eine CD-Box zugelegt und etwas hineingehört. Das Ergebnis meiner Nachforschungen schien zunächst mein Vorurteil zu bestätigen: erz-konservativ, ideen- und temperamentlos, verstaubt, epigonenhaft...
Heute ist mir mein damaliger Fehler klar: Ich hab mir die Spätwerke zu Gemüte geführt, die eher so etwas wie eine Zurücknahme darstellen und wahrscheinlich nicht zum Besten aus Pfitzners Feder zählen. Pfitzner hatte ein schweres Schicksal, sieht man davon ab, dass das Schicksal eines jeden Deutschen in den 1940er Jahren schwer war. Auch heute bleibt uns ja nichts anderes übrig, als den allgemeinen Verfall tatenlos zu beobachten, was nicht sehr angenehm ist, aber damals musste sich das alles ungleich jäher, heftiger, grauenhafter, gnaden- und hoffnungsloser abgespielt haben — jede Nacht sank ein Nürnberg oder Dresden unwiederbringlich in Trümmer, und nach dem finalen Vorrücken der Roten Armee sollte kein Landstrich im Osten mehr genesen usw.
Nun, das traf wie gesagt jeden Deutschen. Pfitzners ganz persönliches Schicksal lässt sich laut Wikipedia wie folgt zusammenfassen:
1936 starb sein Sohn Paul. Im folgenden Jahr überwarf sich Pfitzner mit seinen Kindern Peter und Agnes. 1939 waren die Feiern und Ehrungen zu Pfitzners 70. Geburtstag weit weniger spektakulär als zehn Jahre zuvor. Seine depressive Tochter Agnes, die an dem Ende ihrer Beziehung zu einem SS-Offizier litt und das Gefühl hatte, als Assistenzärztin zu versagen, nahm sich zwei Wochen nach den Feierlichkeiten mit Zyankali das Leben. Pfitzner reagierte verständnislos. Der Verlust seiner Tochter und die Entfremdung von seinem Sohn Peter dürfte den zunehmend unleidlichen Charakter Pfitzners erheblich mitgeprägt haben. Im Dezember 1939 ging Pfitzner eine zweite Ehe mit Mali Stoll geb. Soherr (1893–1963) ein. 1942 entgingen Pfitzner und seine Frau bei einem Bombenangriff in der Nähe von Nürnberg dem Tod, obwohl der Schlafwagen, in dem sie sich auf einer Fahrt befanden, völlig zerstört wurde. 1943 wurde sein Wohnhaus in München durch Bomben getroffen und er siedelte nach Wien-Rodaun über. 1944 fiel sein zweiter Sohn Peter in Russland. Damit hatte der Komponist alle seine Kinder verloren.
Ohne Frage war Pfitzner am Ende seines Lebens ein innerlich gebrochener Mann. Äußerlich trat dies wohl nicht so in Erscheinung, zumal er seinen Auffassungen treu blieb, die ihn heutzutage, ungeachtet aller Hitler-Beschimpfungen, ganz sicher ins Gefängnis gebracht hätten, und die es immer mehr gewagt erscheinen lassen, allzu intensiv für Pfitzner einzutreten.
Insgesamt dürfte einleuchten, dass eine solche Biographie keinen guten Nährboden für ein spektakuläres Alterswerk bilden konnte, noch dazu für einen konservativen Musiker, der sich den zeitgemäßen expressionistischen, der Darstellung von Brüchigkeit und Zerrüttung eher adäquaten Techniken grundsätzlich verschloss. Im Violinkonzert aus dem Jahre 1923 zeigt sich hingegen ein ganz anderer Pfitzner. Er widmete es seiner damaligen Geliebten, der australischen Geigerin Alma Moodie. Es ist angeblich voller erotischer Anspielungen, so fällt etwa der erste Höhepunkt in Takt 69. Aber auch jenseits derartiger Spintisierereien ist es ein packendes, großartiges Werk, dessen Stil und Anlage schwer zu beschreiben ist:
Pfitzners bekanntestes Werk ist natürlich die Oper Palestrina, die sich ungeachtet der Untragbarkeit seiner Persönlichkeit in unseren aufgeklärten wie liberalen Tagen ungebrochener und allgemeiner Wertschätzung erfreut, sodass wir hier nicht näher darauf einzugehen brauchen:
Das Schlusswort hat der zeitgenössische Komponist Wolfgang Rihm. Zweifellos hat er völlig recht, wenn er schreibt:
„Pfitzner ist zu progressiv, um einfach wie Korngold eingeschlürft werden zu können, und er ist zu konservativ, um etwa wie Schönberg die Musik hörbar folgenreich beeinflußt zu haben. Wir finden nicht auf den ersten Blick das gebrochen Heutige in seinem Werk, aber auch nicht das ungebrochen Gestrige. Wir finden beides – also keines, und dies läßt Einordnungsversuche stocken.“
Pfitzners letztes, erst posthum veröffentlichtes Werk war die Kantate "Urworte orphisch" nach Texten von Johann Wolfgang von Goethe für 4 Solisten, gemischten Chor und Orchester, op. 57:
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