Samstag, 2. Dezember 2023

Am 2. Dezember 1883

von LePenseur
 
 
... (mithin heute vor 140 Jahren) wurde in Wien, im Goldenen Saal des Musikvereins, die Symphonie No. 3 in F-dur, op. 90 von Johannes Brahms von den Wiener Philharmonikern unter Hand Richter uraufgeführt. Man kann nicht sagen, daß dieses Meisterwerk heute weniger frisch und anmutig klingt als damals — obwohl die "Dritte" vermutlich die am seltensten aufgeführte unter den vier Brahms-Symphonien sein dürfte. 
 
Ein Grund dafür ist nicht erkennbar: die Themen sind prägnant und zugleich eingängig, ihre Verarbeitung nicht weniger meisterlich als in den anderen Symphonien, die Instrumentation zwar nicht "glänzend" (das ist sie bei Brahms eigentlich nie), aber von perfekter Gekonntheit und Klarheit. Das Werk ist weder zu lang, noch zu kurz geraten, es gibt auch keinen "schwachen" Satz darin — es ist und bleibt rätselhaft! Zumal ja genug große Dirigenten hervorragende Interpretationen des Werkes vorgelegt haben ... und einige von diesen will ich heute Revue passieren lassen. Zunächst aber eine gute Übersicht über die seiner Meinung nach besten Aufnahmen dieses Werks von Dave Hurwitz:


Nun, ohne die Empfehlungen des von mir sehr geschätzten Herausgebers von Classic Today im mindesten in Frage stellen zu wollen — meine Favoriten für die Interpretation dieses großartigen Werkes sind andere (was nicht heißt, daß ich die Leser dieses Blogs davon überzeugen möchte ...). Unter den noch "jüngeren" Dirigenten hat m.E. Andrés Orozco-Estrada mit seinen "Frankfurtern" eine exemplarisch schöne, stimmige Aufführung vorgelegt:


Mit Orozco-Estrada geht es mir leider so, wie seinerzeit meiner seligen Mutter mit Furtwängler: bei aller Liebe und Bewunderung ... aber zuschauen kann man ihm nicht! Die Gründe liegen bei Orozco-Estrada und Furtwängler zweifellos anders, aber trotzdem: man schließt besser die Augen oder sieht (alter Partiturleser, der ich bin) in die Noten ... Doch wie gesagt: letztlich kommt es beim Dirigenten nicht auf die optische Schönheit seiner Bewegungen und/oder Verrenkungen an, sondern auf die Musik, die er dem Orchester damit entlockt. Und da konnte bzw. kann man bei beiden wirklich nicht herummosern ...

Meinen anderen Favoriten kann ich leider nicht mehr vorstellen — das Video mit Haitinks Interpretation mit dem Chamber Orchestra of Europe bei den Proms 2011 ist nur mehr mit kurzen "Schnipseln" (hier und hier) bei Youtube abrufbar, leider! Nicht, daß etwa seine Aufnahme mit dem Concertgebouw-Orchester schlecht wäre ... aber sie strahlt für mich nicht jene souverän-wehmütige Gelassenheit aus, mit der er das Werk 2011 dirigierte. Auch seine Aufnahme mit dem London Symphony Orchestra (hier der 1. Satz — weitere Links bitte selbst suchen) ist wohlgelungen, aber hat nicht die angesichts der riesigen Royal Albert Hall höchst überraschende "Intimität" der Aufnahme von 2011.

Wie unterschiedlich die Tempi insbesondere im Kopfsatz von verschiedenen großen Dirigenten genommen werden, zeigt ein Vergleich der historischen (aber von der Klangqualität überraschend guten) Aufnahme der Londoner unter Felix von Weingartner (1938), der dieses Werk in überaus "flotten" 29:52 Minuten (wenn auch unter Weglassung der Wiederholung der Exposition, wofür ich ihn ausdrücklich rüge! Eine verbreitete, aber umso bedenklichere Unart bei Brahms ...) spielen läßt, wogegen Bernstein (der sonst nicht unbedingt für "epische Breite" bekannt ist) das Werk mit den Wiener Philharmonikern (mit Applaus, freilich) auf mehr als 45 Minuten dehnt. Das eine ist mir zu schnell (bei aller Wertschätzung, die ich für Weingartner sonst hege), das andere kommt mir ein wenig zu "bedächtig" vor ...

Eine Interpretation, die man meiner Meinung nach jedenfalls anhören sollte, ist die der Münchener unter Celibidache, live, vom 20.6.1979:


So, das reicht vermutlich für den Beginn ... und wohlversorgt mit Brahms, entlasse ich meine geneigten Leser in das 1. Advent-Wochenende. Adieu.

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P.S.: und weil's so vergnüglich ist, zuzuhören — hier noch die nach Dave Hurwitz' Meinung schlechteste "Brahms' Third" aller Zeiten (und er bringt hier und, mit Einschränkungen, auch hier weitere "worst of"-Kandidaten). Wenn man sich die Aufnahme anhört, kann man Hurwitz nicht leicht widersprechen, obwohl ... ich würde diese Interpretation schlicht und einfach "bizarr-überzeichnet", eine Karikatur, nennen. Dennoch: auch sie bringt (bei aller Unzulänglichkeit, die einen in Rage versetzen kann und Dave Hurwitz offenbar versetzte!) ein so anderes Bild von diesem Werk, als man es kennt (und schätzt), daß man nach dem Hören versteht, warum man Brahms so nicht interpretieren sollte, obwohl einige Details auf interessante Weise herausgearbeitet werden, die man sonst geneigt ist zu überhören ...

1 Kommentar:

  1. Cher Collega Lechner,

    wo bleibt Ihr Kommentar bzw. sonstige Reaktion (nicht nur in diesem Blog)?

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