von Sandokan
Allerheiligen war im Rückblick für mich immer einer dieser besonderen Anlässe im Jahreslauf.
Ein Ritual der eigenen Kultur und der eigenen Familie. Etwas das man ganz ungezwungen und wie natürlich praktizierte, ohne tieferes Bewusstsein für dessen Besonderheit. Man hat es eben einfach gelebt.
Es war Anlass für einen gemeinsamen Friedhofsbesuch und die anschließende, zumindest teilweise, Familienzusammenkunft - wobei der Weg zum Friedhof damals nicht nur von den obligaten Friedhofsgärtnereien gesäumt war (die es immer noch gibt) sondern auch noch von allerlei Standeln (die es heute nicht mehr gibt), mit ihrem verlockenden Angebot von Zuckerwatte und Liebesäpfeln bis zu türkischem Honig und mit Schokolade überzogenen Früchten.
Dazwischen Grabkerzen, Bukkets, echte und künstliche Blumen, Spielwaren und anderer Krimskrams.
Ein buntes Durcheinander eben, das für uns Kinder den Friedhofsbesuch zu einem positiv besetzten Erlebnis machte.
Erst mit den Jahren traten dann für uns Jüngere auch die ernsteren Aspekte immer mehr ins Bewusstsein. Dennoch oder gerade deshalb blieb es neben dem Totengedenken ein willkommener Anlass wieder einmal Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen zu sehen. Danach traf man sich in der Wohnung meiner Eltern, weil wir in relativer Nähe zum Friedhof wohnten, und alle ihre Autos vor dem gemeinsamen Gang zum Gottesacker einfach bei uns stehen ließen.
Im Laufe der Jahre wurden aber nicht nur wir Jüngeren ernsthafter und reifer, auch der Weg zum Friedhof hatte inzwischen seine kindliche Unschuld verloren.
Jedes Jahr wurde die Zahl der süßen Standeln weniger, bis sie letztlich völlig verschwanden.
Auch die Zahl der Friedhofsbesucher hatte deutlich abgenommen, bis Allerheiligen fast nicht mehr von einem Sonntag zu unterscheiden war, kein Wunder also, dass sich das Geschäft nicht mehr rentierte.
Zusammengeschrumpft war inzwischen aber auch der Kreis der Familie, mit dem Wegsterben der älteren Generation-en, dem an Zahl geringer gewordenen Nachwuchs bei meinesgleichen und all jenen die sich räumlich in alle Winde zerstreut hatten.
Als Jugendlicher ging ich außerdem einige Jahre nur ungerne auf den Friedhof - nicht aus Scheu, es schien mir jugendlich abgeklärtem Besserwisser aber als "uncool", überflüssig und Zeitverschwendung: den Toten ist es ja eh wurscht, die sind tot.
Seither sind Jahre und Jahrzehnte vergangen und heute ist der Friedhofsbesuch zu allen Zeiten wieder etwas das mir zwar keine unbändige Freude beschert, aber etwas auf das ich nicht verzichten möchte.
Sicher, der lieben Verstorben erinnert man sich auch so immer wieder mal, dazu bräuchte es den Friedhof nicht.
Aber es ist ein Akt der Ehrerbietung, der Demut und Verbundenheit, es bildet eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Für mich persönlich umso mehr seit mein Vater verstorben ist.
Außerdem habe ich bei Gott schon hässlichere Orte gesehen als "unseren" Friedhof, der mehr einer ruhigen, naturnahen Parkanlage gleicht. Mit alten Bäumen, laut krächzenden Krähen und dem einen oder anderen Eichhörnchen. Auch der Ausblick ins Wiener Umland ist eigentlich wunderschön, im Rücken der Lemoniberg, wie man ihn früher nannte.
Das einzige das noch fehlt sind Zuckerwatte, Liebesäpfel mit knallroter Zuckerglasur, Maroni und türkischer Honig.
Das picksüße Konsumfest Halloween ist dafür leider kein Ersatz, dafür fehlen ihm der Tiefgang und die Unschuld der alten Tradition.
Man könnte auch sagen, trotz des Spruchs Süßes oder Saures fehlt ihm das Saure und Bittere, das dem Süßen erst seinen Wert gibt.
Friedhofsimpression |
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