Da ging nicht mehr viel zusammen, außerdem erklärte ich ihr, dass sie eine „alte“ Frau sei, die im falschen Jahrhundert steckengeblieben sei, denn jeder vernünftige Mensch will sich weiterentwickeln bzw. ist neugierig, was Neues erleben zu können. Ich fragte sie, warum sie sich mit einem Dienstwagen mit Stern zum Flughafen fahren ließ und nicht mit einem Fiaker, wie es zu Zeiten von Mozart und Beethoven üblich war. Warum sie ein Flugzeug auf ihren vielen Reisen nach Brüssel nahm und nicht die Dampflok?
Was mir im Zusammenhang mit dieser Frau auffiel — mangelnde Toleranz, nichts anderes als ihren Musikgeschmack gelten zu lassen. Natürlich höre ich mit Freuden meinen Lieblingskomponisten Schubert, aber auch den „Bolero“ von Ravel und Carl Orff’s „Carmina Burana“ — ein gewaltiges Stück Kunst. Dennoch habe ich mehr Freude, Otto Lechner zuzuhören, wenn er mit Freunden, wie vor drei Jahren unter dem Motto „Nomaden des Seins“ eine Woche lang in der Wachau spielte, und das an wunderbaren Orten, wie z. B. am zweiten Tag in der kleinen romanischen Kirche in St. Lorenz, die auf den Resten eines römischen Burgus erbaut wurde.
Da hatte ich einen zweifachen Genuss: erst die Musik eines der besten Akkordeonisten der Welt und dabei auf 2.000 Jahre unserer Geschichte schauen zu können, wobei man als alter Lateiner natürlich ständig an die Geschichte und die Kultur, die uns die Römer überließen, denken musste. Das ist für mich gelebte Kultur: neue Musik und alte Architektur in einer Symbiose vereint zu genießen.
Das schönste Konzert meiner Meinung nach jedoch spielte er in der Bibliothek der Wallfahrtskirche Maria Langegg zusammen mit einem französischen Percussionisten und einer Russin am Theremin, eine Stunde lang nur ein einziges Marienlied zu improvisieren — es war der ultimative Thrill und berührend wurde es, als der blinde Otto Lechner alle auffordere, eine Seite im Gebetstuch aufzuschlagen und das Marienlied mitzusingen -—zusammen mit dien sphärischen Klängen des Theremin.
Auch das ist Kultur, habe ich der „alten“ Frau versucht zu erklären, aber genau so hätte ich mit einem Insassen der geschlossenen Abteilung über Plasmaphysik reden können.
Was mich speziell an diesen Fundamentalisten der Klassik stört ist eben die mangelnde Toleranz, denn bei mir eins Auto einzusteigen und sofort aufzujaulen, ich solle doch diese “schreckliche Musik“ abdrehen, ist ein absolutes bNoGo. Die „schreckliche“ Musik war ein angenehmer, nicht schwerer Jazz mit Yusuf Lateef.
Wir alle kamen zahnlos und in die Windeln machend auf die Welt (und oft verabschieden wir uns ebenso von ihr), aber dazwischen liegt der Prozess der Neugierde, Entwicklung, Gier nach Neuem, aber es scheint nicht bei allen entwickelt zu sein, denn meine musikalische Reise ging wie gesagt von der Klassik bis zum Jazz, sogar Free Jazz, den man aber live erleben muss. Das Jazzfestival in Wiesen war ein Fixpunkt im Jahr, ebenso die wöchentlichen Besuche im damaligen Jazzkeller in der Mahlerstraße. Aber weiter ging die Reise weiter mit dem Ergebnis, keines zu haben. Jetzt höre ich einen Mix aus allem, von Parov Stelar bis Black Pistole Fire, von Soap&Skin ( einer wunderbaren steirischen Sängerin ) bis Deep Purple, von Mozarts Requiem bis zur Filmmusik von Kill Bill, von Bon Jovi bis Dollar Brand, wobei es mir in letzter Zeit drei Künstler speziell angetan haben: Willie DeVille und das Duo Beth Hart mit Joe Bonamassa, ein sagenhafter Gitarrist, der bereits mit zehn Jahren zusammen mit B.B.King auf der Bühne stand.
So, die Musik wäre erklärt.
Genau so verhielt es sich mit der Malerei — die Neugierde obsiegte immer. Als Sohn eines Lehrers wurde ich natürlich an die alten Meister herangeführt, wobei ich mich immer fragte, ob sich ein Künstler damals die wochenlange Arbeit angetan hätte, irgendeine Infantin zu porträtieren, hätte es damals schon die Fotografie gegeben. Sicherlich nicht, daher ist für mich an die Stelle der klassischen Malerei als Kunstform die der Fotografie getreten, dennoch bewundere ich heute noch das für mich schönste klassische Porträt, nämlich Jan Vermeer’s „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“.
An die Stelle der Malerei trat einfach, der modernen Zeit entsprechend, wie gesagt die Fotokunst, und da gibt es Genies, wenn ich ein paar Namen einstreuen darf: Peter Lindbergh, Annie Leibovitz, Henry Cartier-Bresson , Ansel Adams, Jan Sauden, wobei man die Österreicher nicht ignorieren darf wie Heinz Cibulka oder Fritz Simak.
Eine Kunstform, die meiner Meinung nach völlig ignoriert wird, ist die des Graffiti, nur in Linz schätzt man sie und hat den ganzen Hafen zur Verfügung gestellt, damit sich die Künstler austoben können - und sie haben aus einer grauen, fürchterlichen Gegend ein Juwel erschaffen.
Abschließend jedoch möchte ich meine absolute Zuwendung zu der Kunstform nicht unerwähnt lassen, die mich im Alter am meisten fasziniert, und das ist die Architektur. Diese bietet nämlich den Vorteil, dass man nicht nur, um ein Beispiel anzuführen, ein Renaissnacegebäude betrachtet, sondern dabei an die Epoche per se denkt und dann schweifen die Gedanken sowieso ab zu dem Gesamtkunstwerk Florenz, an das Universalgenie Leonardo da Vinci, Michelangelo und Dürer. Bei Michelangelo stellt sich bei mir immer eine Verbindung her zur Sixtinische Kapelle und zur Pieta im Petersdom. Für mich ist Architektur die größte Anregung, in meinen Gedanken eine Kunstreise zu machen. An dieser Stelle das im meinen Augen schönste antike Gebäude der Welt: Das Pantheon in Rom, erbaut in der römischen Antike und an Schönheit nicht zu überbieten.
Auch hier habe ich eine Lieblingsepoche, und das ist die Romanik, daher fahre ich öfter in die Kirche nach Schöngrabern, nördlich von Wien, einem perfekten, romanischen Sakralbau, in dem ich schweigend, meditierend, meinen Gedanken nachhängend, bis zu drei Stunden sitze, um danach die Kirche als glücklicher, in sich ruhender Mensch zu verlassen.
Ich wäre nicht ich, hätte nicht auch auf dem architektonischen Gebiet meine Neugierde (was für ein schönes Wort: Gierig nach Neuem) gesiegt und mir die Moderne überaus gefällt, nur kann die Moderne die Klassik in der Architektur in meinen Augen nie besiegen, dennoch ist alles, was I.M Pei geplant hat, Kunst: Die Bank of China in Hongkong, das Museum of Islamic Art in Doha usw, aber auch der 101 in Taipeh, in meinen Augen der schönste Sky-Scraper der Welt oder das Mandarine Bay Sands Hotel in Singapur.
Und all das schreibe ich auf einem modernen Mac-Air und nicht auf einer alten Schreibmaschine — man muss einfach mit der Zeit gehen und kann sich ihr nicht verschließen.
Dasselbe ultimativ klassisch auf den Punkt gebracht mit dem berühmten Lehrsatz des unvergessen Franz-Josef Strauß: „Der echte Konservative marschiert an der Spitze des Fortschritts.“ Was auch heißt: Die wahren Vertreter der Moderne sind die neu-gierigen technikfreundlichen Rechten. Die technikfeindlichen Linksgrünen sind vorgestrige Anti-Modernisten.
AntwortenLöschenGeschätzter it's me,
AntwortenLöschenDas wunderschöne Gebäude in Singapore heißt "Marina Bay Sands", hat nichts mit einer Mandarine zu tun :-).
LG
Wertre Heinz!
AntwortenLöschenGestehen sie mir bitte diesen Fehler zu, aber die Suiten und die dazu gehörige Lounge mit Champagner ab 15:L00n Uhr sind unschlagbar, wobei ich es als obszön fand, dass das Mineralwasser von den Fidschi-Inseln eingeflogen wurde..
Es dürfte bekannt sein, dass der Walzer, als er aufkam und neu war, als zu wild und ungezügelt verbellt wurde, jugendgefährdend und sittenzersetzend, jugendzersetzend und sittengefährdend.
AntwortenLöschenHallloooo!
AntwortenLöschenIch zitiere:
„Ich fragte sie, warum sie sich mit einem Dienstwagen mit Stern zum Flughafen fahren ließ und nicht mit einem Fiaker, wie es zu Zeiten von Mozart und Beethoven üblich war. Warum sie ein Flugzeug auf ihren vielen Reisen nach Brüssel nahm und nicht die Dampflok?“
Das ist natürlich eine mehr als schlechte Replik und ich vermute, dass dem Autor dies auch bewusst sein muss.
Die Tatsache, dass wir heute Automobile und Flugzeuge statt Kutschen und Dampfzüge verwende, ist kein Argument.
Die Menschen des 18. oder 19. Jahrhunderts nutzen Dampfloks und Kutschen nicht aus grundsätzlichen, ästehtischen oder lebensphilosophischen Erwägungen heraus, sondern weil ihnen damals keine besseren Methoden und Verfahren zu Verfügung standen.
Damit das zitierte Argument also schlüssig wäre, müsste der Autor zeigen, dass die Komponisten und Künstler des 18. oder 19. Jahrhunderts ebenfalls eine andere und unserer heutigen ähnlichere Musik gemacht hätte, wenn ihnen nur die technischen Möglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten.
Würde ein Beethoven heute Elektro-Pop machen, wenn ihn nur ein Syntheziser zur Verfügung stünde?
Würde ein Mozart Jazz spielen, hätte er nur ein Saxophon?
Grade von Mozart ist bekannt, dass er gegen Ende seines Lebens Musik komponierte, von der ihn bewusst war, dass man diese nicht aufführen würde. Er hat sozusagen nur um der Kunst willen komponiert.
Natürlich können wir nur spekulieren, was diese Männer tun würde, wenn... Ich denke aber, es ist gerechtfertigt folgendes anzunehmen: Die klassische Musik klingt zum größten Teil so, weil die Musiker sich damals in genau dieser Weise ausdrücken wollten. Die Limitationen der klassischen Musik sind nicht ausschließlich das Ergebnis von Unzulänglichkeiten der damaligen Mittel, sondern reflektieren die Grenzen des damaligen Geschmacks.
Dass unser heutiger Geschmack andere Grenzen hat ist richtig. Es ist jedoch nicht ohne Weiteres möglich, dies als "Fortschritt" zu deuten wie die Entwicklung des Automobiles o. ä.
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„wobei ich mich immer fragte, ob sich ein Künstler damals die wochenlange Arbeit angetan hätte, irgendeine Infantin zu porträtieren, hätte es damals schon die Fotografie gegeben. Sicherlich nicht, daher ist für mich an die Stelle der klassischen Malerei als Kunstform die der Fotografie getreten, dennoch bewundere ich heute noch das für mich schönste klassische Porträt, nämlich Jan Vermeer’s „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“.“
AntwortenLöschenHier offenbart der Autor übrigens die selbe Argumentation wie oben, nur grade heraus und offen ausgesprochen.
Und, ja, in diesem spezifischen Fall hat er einen gewichtigen Punkt:
Die Malerei ist überholt, wenn es ihr darum geht, die optische Erscheinung einer Sache perfekt einfangen zu wollen. Dies leistet die Fotographie besser.
Man muss also nicht mehr stundenlang Modellsitzen, um damit ein Andenken des eigene Erscheinungsbildes für die Nachwelt zu hinterlassen.
Jedoch ist Malerei an sich damit für technisch überholt zu erklärten ist meines Erachtens aus drei Gründen falsch:
1. Die Fotographie ist ebenfalls in hohem Maße artifiziell. Sie bildet die Welt nicht ab "wie sie ist" oder wie sie "erscheint". Blickwinkel, Ausleuchtung, Belichtungszeit, Schärfe usw. machen extrem viel aus.
2. Die Malerei kann besser darin sein, den subjektiven Eindruck eines Erscheinungsbildes einzufangen als das Foto. Das Foto mag optisch "ehrlicher" sein, das Auge ist es aber nicht.
Das menschliche Gesicht (das Sehen) funktioniert zum Großteil über das Gehirn, wir sehen nur einen einzigen Punkt wirklich scharf und haben einen blinden Flecken. Viel ergibt sich deshalb aus dem Fokus den man setzt, der Vorstellung des Objektives oder der Person.
3. Memes oder Anime/Manga sind ebenfalls Malerei und diese Kunstgattungen scheinen mir mehr als berechtigt zu sein.
„Diese bietet nämlich den Vorteil, dass man nicht nur, um ein Beispiel anzuführen, ein Renaissnacegebäude betrachtet, sondern dabei an die Epoche per se denkt und dann schweifen die Gedanken sowieso ab zu dem Gesamtkunstwerk Florenz, an das Universalgenie Leonardo da Vinci, Michelangelo und Dürer. Bei Michelangelo stellt sich bei mir immer eine Verbindung her zur Sixtinische Kapelle und zur Pieta im Petersdom.“
Sie sollten sich mit den Werk Fechners über Ästhetik beschäftigen. Der hat das im 19. Jahrhundert bereits analysiert.
„Und all das schreibe ich auf einem modernen Mac-Air und nicht auf einer alten Schreibmaschine — man muss einfach mit der Zeit gehen und kann sich ihr nicht verschließen.“
Die schnellen, möglicherweise stenographsichen Notizen des Schreiberlings, die Schreibmaschine und der moderne Computer sind alle nur eines:
Mittel zum Zweck. Mittel, um Gedanken in Text umzuwandeln.
Diese bestreiten aber die Berechtigung der Kaligraphie nicht. Denn dort geht es nicht ausschließlich darum, eine Reihe von Worten zu verschriftlichen.
Mit kopfschüttelnden Grüßen,
euer NATO-Troll. (2/2)
Cher NATO-Troll,
AntwortenLöschenein fürwahr großartige Replik! Chapeau!
Wollen Sie nicht bei uns als Gastkommentator mitmachen?
Hier kann sogar ich einem NATO-Troll beipflichten.
AntwortenLöschenWobei ich den Aspekt des "Könnens" - also etwas zu können, was die meisten nicht können - zur Kunst hinzurechne.
Was Kreti und Pleti können, ist selten Kunst.
Mich würde interessieren, was Max Nordau, der "Erfinder" der "Entarteten Kunst" in seinem Buch dazu meinte.
Ich hatte noch nie die Gelegenheit, hineinzuschauen.