Donnerstag, 26. Mai 2022

Der exakte Gedenktag ist zwar schon vorbei

von LePenseur
 
 
... doch am 6. März, als sich der Geburtstag zum 150. Male gejährt hätte, gab es bekanntlich aktuell ganz andere berichtenswerte Dinge ... aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, daher also jetzt zum heutigen Feiertag:


Schon bei der Aussprache des Namens scheiden sich die Geister: »Jon« (mit kurzem »o«-Laut) ist ebenso möglich wie »Jú:on« (mit langem »u«), ersteres offenbar mehr die schweizerische, letzteres die russische Variante. Denn Paul Juon war eben »... ein hauptsächlich in Deutschland wirkender Schweizer Komponist russlandschweizerischer Abstammung ...«, wie Wikipedia penibel auseinanderklabüsert. Kompliziert — und es erklärt die unterschiedlichen Einflüsse, denen dieser Komponist und langjährige Berliner Kompositionsprofessor so ausgesetzt war ...
Juon komponierte in einem eigenständigen spätromantischen Stil vier Sinfonien, ein Ballett, ein Klavier- und drei Violinkonzerte, weitere Stücke für Violine und Orchester, Épisodes concertants für Violine, Cello, Klavier und Orchester, kammermusikalische Werke, Sonaten für verschiedene Instrumente und Lieder. Juons Musik ist nicht leicht eingehend, sondern formell anspruchsvoll durchgearbeitet. Er verwendete oft russische oder auch nordische Themen und prägte sie durch formale Mittel zur Kunstmusik um. Dabei behielt er den Klang der nationalen Musik bei. Des Weiteren verwendete er seltene Taktarten, und der häufig erfolgende Wechsel der Taktvorzeichnungen ist eine Beson-derheit all seiner Kompositionen.
... charakterisiert Wikipedia seinen Kompositionsstil und trifft damit durchaus einen Punkt. Juon war nicht nur lange Zeit Kompositionsprofessor an der Beliner Musikhochschule, sondern ist auch vom ganzen Habitus ein durchaus »typischer« Vertreter eines gepflegen Akademismus' — was aus meinem Munde, also dem eines »Brahminen«, freilich keineswegs eine Abwertung darstellt. Genialische »Kraftlackl'n« entpuppen sich nur zu oft als Blendwerk, wogegen gediegene handwerkliche Perfektion auch dann zu befriedigen mag, wenn damit wenig »welterschütternd Revolutionäres« ausgesagt wird. Dagegen nervt technische Stümperei weit mehr ...

Schon die erste Symphonie des damals 23-jährigen zeigt eine erstaunliche Beherrschung traditioneller Mittel — und ist keineswegs uninspiriert, sondern besticht durch einen (neben allem Einfluß deutscher und österreichische Symphonik) pikanten »russischen« Zug mancher Themen:


Ein durchaus beachtlicher Erstling, keine Frage! Und nur sieben Jahre später legte der 30-jährige seine 2. Symphonie in A-dur, op. 23, dem Publikum vor, die man ohne Übertreibung als kleines Meisterwerk bezeichnen darf. Mit einer Passacaglia als langsamem Kopfsatz, verdient sie völlig das von einem Kommentarposter bei Youtube gespendete Lob:
This is the most impressive "new" symphony I've heard in a long time. It eased in on my consciousness and gradually took over, and through all the Brahms, Reger, and even Sibelius (4:33) reminiscences, Tchaikovskyan pizzicatos (10:42), and even Britten some-where, it remains amazingly original. The first movement is magnificent, and its' "adagio", also, is one of the most beautiful I've heard in a while.

Wenig verwunderlich, daß angesichts solcher Talentproben der noch nicht einmal Mittdreißiger schon 1906 eine Professur für Komposition an der angesehenen Berliner Musikhochschule erhielt! Hier wirkte er bis zum Jahr 1934, als er sich im Ruhestand in der Schweiz, der Heimat seiner Vorfahren (aus der auch seine Frau stammte) niederließ. Die letzte  »Berliner« Symphonie ist die Kleine Symphonie für Streicher, op. 87 (1930) — ein »für Schülerorchester« geschriebenes, kontemplatives Werk, das ganz vorsichtig auch somanche damals »modernere« Wendung aufnimmt und harmonisch mit der Tradition verschmilzt:


Auch in der Zeit des Ruhestandes war Juon als Komponist keineswegs müßig, wie seine beiden letzten Symphonien beweisen, zunächst die am Vorabend des Zweiten Weltkriegs entstandene großformatige Rhapsodische Symphonie in f-moll, op. 95 (1938):


Hier zeigt sich die souveräne Beherrschung des kompositorischen »Métiers«, das Paul Juon ebenso die Aufnahme (gemäßigt) »zeitgenössischer« Wendungen ermöglichte, wie auch das mühelose Überleiten zu eingängiger Melodik, all das jedoch eingebettet in meisterhafte Instrumentation und in gekonnter Kontrapunktik und thematischer Entwicklung.
 
Nur wenig später, 1939, vollendete der Komponist sein letztes großes Orchesterwerk, die Sinfonietta Capricciosa op. 98 (seine vorletzte Komposition, der noch die 3 Lieder, op. 99, folgten). Es ist wohl nur wegen der vergleichsweise kurzen Dauer (knapp 30 min.), daß er dieses Werk nicht als Symphonie bezeichnete. Originalität, Gewicht und Durcharbeitung dieses Werkes, das deutlich das un-gebrochene Interesse des Komponisten an »neuen« Richtungen der Musik verrät, machen es durchaus zu einer »vollwertigen«Symphonie:
 

Ergreifend schön der Mittelsatz — Molto Adagio — des Werkes, der sich in keiner Weise neben anderen, weit bekannteren »langsamen Sätzen« der Symphonik zu verstecken braucht.  

Doch Paul Juon war zu Lebzeiten weniger als Symphoniker, als vielmehr für sein kammermusikali-sches Schaffen besonders bekannt, und in der Tat finden sich hier höchst beeindruckende Werke, wie z.B. das Sextett in c-moll, op. 22 — für zwei Violinen, Bratsche, zwei Violoncelli und Klavier gesetzt — aus dem Jahre 1902:


Auch die drei Streichquartette (No. 1 in D-dur, op. 5No. 2 in a-moll, op. 29No. 3 in d-moll, op. 67) untermauern Juons Ruf auf dem Gebiet der Kammermusik.

Auch die Liste seiner Kompositionsschüler, die Namen wie Heinrich Kaminski und Max Trapp oder Pantscho Wladigerow zieren, aber auch von »U-Musik-Größen« wie Werner Richard Heymann, ist beeindruckend — Paul Juon konnte offenbar nicht nur komponieren, sondern dies auch (soweit es eben möglich ist) lehrend weitergeben.

Auch bei Paul Juon zeigt sich wieder einmal, daß in der »zweiten Liga« der Komponisten eine Unzahl von ganz zu Unrecht vergessenen (oder wenigstens fast vergessenen) Meistern wiederzuentdecken gibt, und die geringe Mühe, sie auf Youtube zum ersten Kennenlernen aufzuspüren (evtl. unter Beiziehung eines Musiklexikons) durch die Zahl an staunenswert hochkarätigen Trouvaillen reichlich belohnt wird.


10 Kommentare:

  1. Franz Lechner26 Mai, 2022 12:31

    Wie kommen Sie auf all diese Namen, cher Penseur? Ich hab zB diesen noch nie gehört...
    Mit dem Urteil warte ich noch zu, meine Erfahrung ist, dass man sich bei Musik dieser Art sehr furchtbar täuschen kann.

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  2. Die Ukraine hat aber auch ganz tolle Musik... 😆

    https://twitter.com/i/status/1529442275604021249

    Sandokan

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  3. Geschätzter Herr Collega,

    mein Ex-Chef meinte einmal zu mir: "Wozu braucht man eine Encyclopedia Britannica, wenn man dich in der Kanzlei hat?"

    Schmeichelhaft, wenngleich doch ein wenig ;-) übertrieben ... meine Kenntnisse bspw. auf dem Gebiet des Maschinenbaus, der Montanistik, der Quantenphysik, der Arabistik oder der botanischen Nomenklatur sind ausgesprochen überschaubar. Aber auf dem Gebiet der Künste aller Arten, der Geschichte und vieler anderer Dinge, die früher als "Bildung" zwar nicht "selbstverständlich" (das waren sie nie!) aber eben doch weitaus verbreiteter waren als heute, weiß ich doch eine ganze Menge.

    Dennoch bewunder(t)e ich mit fassungslosem Staunen meinen schon lange verstorbenen Großvater, der als pensionierter Schuldirektor (obwohl eigentlich nicht "vom Fach") immerhin lateinisch, sogar in fehlerfreien Hexametern, fließend parlieren konnte — was meinen Vater, einen weitaus nicht so begnadeten Lateiner, to put it mildly, in Gesprächen im dem zuständigen Professor mehrmals vor dem sicheren Sitzenbleiben rettete ...

    ---

    P.S.: nicht für Sie, Herr Kollege, sondern für allfällig Mitlesende: "Bildung" (ich glaube von Schwanitz) ist ein Buch, das manches von all dem vermittelt. Nicht immer 100% nach meinem Gusto, zugegeben, und bisweilen "von der correctness Blässe angekränkelt", aber doch immer noch das Beste, was ich auf diesem Gebiet halbwegs aktuell kenne. Ist, glaube ich, noch lieferbar.Paul Juon wird man dort aber auch nicht finden.

    Die beste Methode, sich Bildung anzueignen, war aber: Lexika zu lesen (und nicht nur darin etwas nachzuschlagen)! Das kam bei mir so, daß eine alte Tante gern von mir damaligem Gymnasiasten besucht werden wollte, und mir (um mich zu ködern — so spannend waren die Besuche ja nicht!) jedesmal einen Band ihres alten Brockhaus als Geschenk mitgab. Nie mehr, damit ich, so ihr Vorwand, nicht zu schwer zu tragen hätte.

    Man lernt so nicht nur spielend Fraktur zu lesen, sondern — was macht man schon in seiner Verzweiflung, wenn man Anfangs nur die Bände "A-Astrabad" und "Astrachan - Bilk" sein eigen nennt? Richtig: man liest sie! Nicht jedes Stichwort natürlich, aber doch eine ganze Menge davon. Und so kommt man zu erstaunlichen Kenntnissen über das frühere Herzogtum Anhalt oder Großherzogtum Baden; lernt eetwas über die Geschicht der Astronomie oder die Dynastien Ägyptens etc. etc. ...

    Wobei: für Paul Juon war dieser Brockhaus zu alt (14. Auflage, 1890er-Jahre, da war der noch nicht Lexikon-würdig).

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  4. Jetzt ist die Ukraine für die Russentrolle bereits der Satan. Auch hier sind sie Brüder im Geiste zu denen, die auf den Straßen des Orients vom „großen Satan“ USA brüllen.

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  5. Cher Beobachter,

    zur Beobachtung gehört auch eine gewisse Sachkenntnis und Fähigkeit zu logischer Einordnung des Beobachteten. Lesen Sie einmal darüber nach, wie und in welchem Bedeutungszusammenhang man rhetorisch bzw. ironisch das Zitat "Apage, Satanas!" verwendet.

    Wer keine Bildung hat, sollte aus — insbes. fremdsprachigen — Zitaten vorschnell keine gewagten Schlüsse zu ziehen versuchen. Die Gefahr, sich dabei zu blamieren, ist groß.

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  6. Cher Penseur, man muss nicht irgendwelche Zitate aus einem archaischen Bildungskanon kennen, um zu sehen, dass die Ukraine(r) für Sie satanisch sind. Denn Sie glauben ja alles und verarbeiten es eifrig, was die Russenpropaganda über die Ukraine(r) in die Welt setzt.

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  7. Cher Beobachter,

    Sie müssen überhaupt nichts kennen, denn Sie dürfen sich nach Gusto und Laune blamieren. Ich werde Sie nicht daran hindern.

    Ihre ferndiagnostischen Fähigkeiten sind allerdings bescheiden: nein, ich halte "die Ukraine" keineswegs für satanisch (mit Satan habe ich's nicht so wirklich — den überlasse ich Hard-core-Katholen oder auch Esoterikern ...), sondern schlicht und einfach ein potentiell reiches, aber aktuell armes Land, das von verbrecherischen Korruptionisten ausgeplündert wird und derzeit Opfer eines ganz üblen Spiels der macht- & kriegsgeilen Neocons in Washington D.C. ist.

    Das reicht für meinen Geschmack als Erklärung — für die Arschlöchrigkeit von Oligarchen brauche ich kein Konstrukt à la "Satan". Man braucht doch nur Figuren wie Gates, Soros, die Rockefellers (und jede Menge weiterer) anzusehen und weiß: die sind schon ganz höchstpersönlich so letztklassig unterwegs. Die brauchen (und verdienen) wirklich keinen "Verführer" als Entschuldigung für ihre Untaten.

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  8. So so. Soros, Gates & Rockefeller haben also die Ukraine überfallen. Das ist ein - wie sagt der Penseur gerne - "verhaltensoriginelles" Narrativ zur aktuellen Lage.
    Interessant auch, dass Le Penseur die "westlichen" Oligarchen als die Quelle alles Bösen ausgemacht hat, die russischen Oligarchen aber bewundert und vor Wochen Mitleidselegien formuliert hat, weil die armen, armen Oligarchen nicht mehr Dolce vita auf Ihren 100-Millionen-Yachten in der Cote d'azur machen würfen...

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  9. Cher Schorschi,

    zu glauben, daß Sie — auf gut Wienerisch — wirklich so "fetz'ndeppert" sind, aus dem Satz "... Land, das von verbrecherischen Korruptionisten ausgeplündert wird und derzeit Opfer eines ganz üblen Spiels der macht- & kriegsgeilen Neocons in Washington D.C. ist" die Conclusio "So so. Soros, Gates & Rockefeller haben also die Ukraine überfallen" zu destillieren, fällt schwer. Aber entweder ist es halt so und Sie sind wirklich so ein Trottel — oder (und das ist weitaus wahrscheinlicher) Sie müssen halt irgendwie Ihrem Troll-Auftrag nachkommen, und wäre es mit saublöden "Argumenten", weil gescheitere nicht zur Verfügung stehen.

    Beides macht Sie in meinen Augen zu keinem geeigneten Diskussionspartner.

    Adieu!

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