Gerade beim Spazierengehen im Schaufenster einer Buchhandlung gesichtet:
Der Niemand von der »Narcissus«
Von dringlicher Aktualität: die Neuübersetzung von Joseph Conrads wichtigstem Frühwerk
Joseph Conrads dritter Roman erschien in den USA und in
Großbritannien mit unter-schiedlichen Titeln: In New York veröffentlichte
man ihn 1897 als
The Children of the Sea; gegenüber seinem
Londoner Verlag aber setzte sich Conrad 1898 mit dem damals von ihm
bevorzugten Titel durch, und die Geschichte einer dramatischen Überfahrt
von Bombay nach London erhielt den Namen, der ihre Rezeption bis heute
zum Dilemma macht:
The Nigger of the »Narcissus«. Der
rassistischen Bezeichnung zum Trotz bürgt die Hauptfigur, der hünenhafte
Matrose Jimmy Wait, für ihr Gegenteil: das würdevoll Menschliche in
jedem Einzelnen, gleich welcher Hautfarbe, Religion und sozialen
Stellung. Mit seiner brillanten Neuübersetzung wagt Mirko Bonné den
Versuch, dieses literarische Großereignis und Zeugnis der Kameradschaft
auf See endlich auch einer heutigen Leserschaft zugänglich zu machen.
Seltsam, seltsam ... ... Die gutmenschlichen Waschzettel-Poeten von »mare« (woselbst diese »dingliche Aktualisierung« erschienen ist) müssen ein anderes Buch gelesen haben als ich. Ich kenne es freilich noch unter dem Titel »Der Nigger von der 'Narcissus'« (seinerzeit im Zuge der Joseph-Conrad-Gesamtausgabe im dessenthalben zweifellos bekennend rassistischen S. Fischer-Verlag — sein Gründer
Fischer war sicherlich ein pöhser Nazi, nicht wahr? — erschienen ...).
Und ich habe das Werk ganz anders in Erinnerung: diesen Jimmy Wait als Bürgen für »das würdevoll Menschliche in
jedem Einzelnen, gleich welcher Hautfarbe, Religion und sozialen
Stellung« zu stilisieren, grenzt in meinen Augen schon an Persiflage. Was? Dieser klassische Prototypus eines
Tachinierers, des »
Åbezahrers« (wie der Wiener sagen würde; für Piefkes: »Drückebergers«) — das soll das »würdevoll Menschliche« repräsentieren? Na, dann gute Nacht ...
Die angeblich ach so »dringliche Aktualität« dürfte allerdings nicht dem Bedarf an Repräsentanten des »würdevoll Menschlichen« entsprungen sein (deren gibt's in der Literatur mehr als genug), sondern der politisch-korrekten Sprachverhunzung und den gutmenschlichen Denkverboten, die uns Zigeuner-spieße, Negerküsse (nun gut, das ist ein Piefke-Problem — bei uns heißen die ja Schwedenbomben ...), Eskimos, Indianer und eben auch Neger (oder gar »Nigger«) verboten haben. Perverse und Idioten übrigens auch. Und doch gibt es all diese nach wie vor (besonders die letzteren), aber sie müssen halt »verbal behübscht« werden.
Und da fiel diesen Herrn Mirko Bonné offenbar nichts besseres ein, als »Nigger« (huch! N-Wort!) mit »Niemand« zu ersetzen. Sorry — was hat er sich dabei gedacht? Wenn er sich was gedacht hat (die Frage, ob er das überhaupt kann, möchte ich aus Gründen allfälliger Rechtsfolgen hier nicht weiter erörtern ...).
Wäre es nicht geeigneter gewesen, wenn man seitens des Verlags schon gutmenschliche Idiosynkrasien zu bedienen wünscht, aus dem verpönten »Nigger« halt einen »Schwarzen« zu machen (wenn man sich bei »Neger« schon in die Hose macht ...): »Der Schwarze von der 'Narcissus'« klingt zwar irgendwie Scheiße, aber was soll's — soll Conrad halt im Grab rotieren, Opfer müssen gebracht werden! Und daß ein Autor sein Werk offenbar genau so benannt sehen wollte (die Erstauflage hieß ja noch anders, wurde aber auf Conrads Wunsch später geändert), ist doch bei »höheren« Beweggründen (und gibt's höhere als BLM?) einfach piepegal. Vermutlich müssen wir demnächst Droste-Hülshoffs »Judenbuche« in eine »Niemandsbuche« umbenennen, bevor wir sie lesen dürfen — und täten das freilich mit weit größerer Berechtigung — wer die Novelle kennt, weiß warum ...
In der leider nicht abgeschlossenen Conrad Werkausgabe des Haffmans Verlages hieß der Band "Der Bimbo von der Narcissus"
AntwortenLöschen