Mittwoch, 18. März 2020

Fußnoten zum Mittwoch

von Fragolin

Gestern noch wollten wir alle Grenzen abreißen, abschaffen, vernichten, um alle Staaten zu einem einigen Zentralstaat Europa zu vermanschen, in dem jeder Mensch der Welt frei einreisen und wohnen und sich versorgen lassen kann – und heute wird alles abgeriegelt und wer medizinische Produkte herstellen kann, verhängt Ausfuhrverbote und bunkert sich ein.
Was so ein kleines Chinakügelchen innerhalb weniger Wochen verändern kann.

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Unsere oberste EU-Betonfrisur will „grüne Korridore“ schaffen, damit der freie Warenverkehr über die Grenzen der EU-Staaten weiter stattfinden kann. Welcher freie Warenverkehr gemeint ist, wenn immer mehr Produkte von den Herstellerländern mit Ausfuhrverboten belegt werden, hat Schwafeluschi nicht erwähnt.

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Letztes Jahr erst wurde an den Fleischtheken der Gummihandschuh als überflüssig aus dem Verkehr gezogen – jetzt tragen ihn sogar die Kassiererinnen.

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In Rom schmettern abends ganze Straßenzüge lauthals die italienische Nationalhymne von den Balkonen. Ich stelle mir gerade die Schlagzeilen vor, wenn von Berliner Balkonen das Deutschlandlied ab der ersten Strophe geschmettert würde. Was in Italien als „große Solidarität“ gefeiert wird, würde in Merkelgrad zu Polizeieinsätzen und tagelangen Berichten über die rechtsextreme Instrumentalisierung der Krise führen. Woran man deutlich erkennt, dass das, was in Merkeldeutschland als rechtsradikale Staatsgefährdung verfolgt wird, in sämtlichen anderen Ländern der Welt einfach nur das natürliche Zusammenhaltsgefühl eines Staatsvolkes ist.
Ach ja, wenn das Absingen in Rom als machtvolles Signal von Zusammenhalt und Solidarität gefeiert wird, ist dann die wahrnehmbare Nichtbeteiligung von Nichtitalienern an diesen Ritualen nicht ein Beweis von deren freiwilliger Abschottung und Ausgrenzung? Wer hindert einen Afrikaner oder Türken am Mitsingen und Mitsolidarischsein? Das Gleiche gilt in vollem Umfang für Deutschland oder Österreich. Plötzlich sieht man wieder nur Bilder einer sehr undiversen Gruppe. Beim Absingen schwefelstinkender Nationalhymnen.

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Ich gebe ehrlich zu, dass ich mich gelegentlich wirklich lieber irren würde. Noch vor einer Woche wurde man für den Hinweis, dass eine Abflachung der Infektionskurve automatisch zu einem zeitlichen Strecken führen würde und man durchaus zwischen einem halben Jahr und zwei Jahren rechnen müsse, bis zumindest die Herdenimmunität durch langsame Durchseuchung erreicht würde (meine Güte, das konnte sich jeder Hauptschüler ausrechnen), als Panikmacher, Fakenewsverbreiter und böser Diffuseängsteschürer angebrüllt.
Gestern hat das RKI genau das in Aussicht gestellt: Zwei Jahre massive Einschränkungen bzw. Aufrechterhaltung der jetzigen Maßnahmen. Was das bedeuten würde, kann sich auch jeder Hauptschüler ausrechnen.

Schön langsam kommt es bei dem einen oder anderen Klimahüpfling vielleicht schon zu der Erkenntnis, dass ihre Zukunft nicht durch alte weiße Männer zerstört wurde sondern nachhaltig durch ein mikroskopisch kleines Knubbelchen. Aber sie können sich freuen: durch die klimafreundliche Vernichtung des Konsums, der Produktion, des Verkehrs und vieler alter weißer Umweltsäue kommen bald wieder kalte Winter. Statt Klopapier hätten sie vielleicht lieber Wintermäntel kaufen sollen...

7 Kommentare:

  1. Das Chinakügelchen ändert die EU?
    Nicht wirklich, denn Änderungen wie Einreisebesimmungen gelten nach wie vor nur für die schon länger hier lebenden. Alle anderen dürfen die Grenze nach wie vor passieren.
    Oder wie anders darf ein Artikel verstanden werden, den ich heute auf Seite 3 unserer Tageszeitung las(auf Seite 1 standen die aktuellen Reisebeschränkungen): NEU EINTREFFENDE (Hä??) Asylbewerber würden an der Grenze untersucht und dann in eine Aufnahmeeinrichtung gebracht.
    Wenn dort ein Schub eingetroffen sei, dann würde die Einreichtung 14 Tage lang keine weiteren Asylbewerber aufnehmen müssen.
    Ja sind die Grenzen jetzt geschlossen oder nicht?

    Ach und der Gummihandschuh - was nützt so ein Handschuh, wenn sich die behandschuhte Verkäuferin mal kurz am Hals kratzt (Pickel?)und anschließend ohne Handschuhwechsel weiter arbeitet?
    So gesehen in einer großen deutschen Supermarktkette ...
    Es gibt offenbar noch sehr viele Defizite, aber - wir schaffen das.
    Oder üben noch.

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  2. Geschätzter Fragolin!

    2 Jahre? Solange braucht das System nicht, bis es zerbricht.
    Aber was dann? Ab Mai kommen die Reservisten zum Einsatz! Wofür?
    Ich bin mir sicher, dass es zu gesetzlichen Verschärfungen
    kommen wird. Wir erleben gerade einen gigantischen Umbruch, da bleibt u.U kein Stein auf dem anderen. Ob "die" das Ruder nochmal herumreißen?

    MfG Michael!

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  3. Verena Volkert18 März, 2020 10:46

    Sehr geehrter Fragolin,

    Sie können ja der Kanzlerin alles nur Denkbare in die Schuhe schieben, geschenkt. Aber das "Absingen des Deutschlandliedes ab der ersten Strophe" ist nun nicht erst unter Merkel ein No go in Deutschland, sondern seit 1945.
    Auch unter Kohl, in dessen Ära Ihnen zufolge die politische Welt ja noch in Ordnung war und es keine AfD brauchte, wäre solches undenkbar gewesen. Unter Adenauer übrigens auch.

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  4. @Verena Volkert: Bez. Deutschlandlied: Verboten im eigentlichen Sinn ist die 1. Strophe übrigens nicht, sie wird halt nicht mehr als offizielle Hymne verwendet.

    Detail am Rande: Natürlich wurde die 1. Strophe vom anwesenden Publikum auch beim "Wunder von Bern" aka Fußball-WM 1954 gesungen - vertrauen Sie da nicht dem gleichnamigen Film aus dem Jahr 2003, wo politisch korrekt die 3. Strophe ertönt.

    Tomj

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  5. Das Absingen des Deutschlandliedes ab der ersten Strophe war vielleicht nicht in Deutschland opportun, jedoch im Wankdorfstadion im Jahre 1954 von den deutschen Schlachtenbummlern offen-hörbar kein Problem.
    Aus, aus, aus... das Lied ist aus.

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  6. Verena Volkert18 März, 2020 18:17

    Klar, das ist auch mir bekannt, und kann ja leicht abgehört werden, wie die siegenstrunkenen Schlachtenbummler das "Wunder von Bern" im Wankdorfstadion mit der ersten Strophe besangen.
    Aber das macht das nicht besser. Bundespräsident Heuss hat sich danach bei der Schweizer Bundesregierung in aller Form für diese peinliche Entgleisung nur 9 Jahre "danach" entschuldigt.

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  7. Chère Verena Volkert,

    ohne mich in Ihren Dialog mit Kollegen Fragolin einmengen zu wollen — aber was am Singen der ersten Strophe des Deutschlandliedes ein "peinliche Entgleisung" sein soll, erschließt sich wohl nur einem rückgratgebrochenen Deutschen mit Alleinschuldkomplex.

    Ich würde eher die Entschuldigung von Heuss als peinlich ansehen.

    Und, nein: ich finde das Deutschlandlied keineswegs eine großartige Hymne (und zwar keine der drei Strophen, von denen die erste banal, die zweite einfach doof und die dritte nichtssagend ist).

    Aber solange Franzosen bei allen Gelegenheiten die Marseillaise singen dürfen, in der sie markig

    Zu den Waffen, Bürger,
    Formiert eure Truppen,
    Marschieren wir, marschieren wir!
    Unreines Blut
    Tränke unsere Furchen!


    skandieren, solange darf auch ein Deutscher (der ich als Österreicher ja nun nicht wirklich bin!) getrost "Deutschland, Deutschland über alles!" singen. Ich als Österreicher muß es ja nicht mitsingen.

    Und auch die "armen" Schweizer waren 1954 nicht dazu verpflichtet ...

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