von Fragolin
Die Weinlese schreitet voran und unsere Gastgeber lohnen unseren
Einsatz täglich mit nahrhafter Verpflegung, von der irgendwie nichts
aus einer Supermarktfiliale stammt. Es gibt ein Leben ohne Spar, Rewe
und Aldi. Und man bekommt wieder das Gefühl, dass es ein besseres
Leben ist. Es gibt Essen, einfaches schnödes Essen, vollkommen frei
von „Lebensmitteln“, die industriell aus geschredderten Teilen
kubischer Schweine mit vorgeschriebenem BMI unter Zugabe von Enzymen,
Klebstoff und petrochemischen Haltbarkeitsverlängerern gefertigt
werden. Nein, hier wird einfach ein komplettes Teil aus einem Schwein
gefräst, das einen Speckrand besitzt, der diesen Namen verdient,
ordentlich geselcht und dann fachgerecht quer zur Faser in
fingerdicke Scheiben geschnitten, die man sich zur Jause selbst
zerkleinert. Wer Zähne hat benötigt keine hauchdünnen Blättchen
von etwas, das mit Kilopreis verkauft wird. Dazu gibt es ein täglich
selbst gebackenes Brot, das einer Hefekultur entspringt, die wohl
schon seit Generationen mit der Bauersfamilie unter einem Dach lebt.
Um jetzt die Kurve zu bekommen, bevor ich den nächsten biologisch
abbaubaren Baum umarme und singend seine Elfen rufe, muss ich
allerdings auch zugeben, dass das alles nicht „bio“ ist. Also
eigentlich schon „bio“, aber nicht so, wie unsere Baumumarmer das
verstehen. Denn es werden sehr wohl im Kleinlandgewerbe und bei den
kleinen Weinbauern Mittel gegen Pilzbefall und Gewürm eingesetzt,
die dieses dergestalt einbremsen, dass es überhaupt etwas zu lesen
und zu keltern gibt. Neben der Hefe werden auch Zusätze beigemischt,
deren genauere Zusammensetzung wohl nur Alchimisten kennen, die in
geheimen Kellern an ihre Retorten gekettet vor dem Ausplaudern ihrer
Geheimnisse geschützt werden müssen und deren Wirkversprechen mich
an die geradezu zauberhaften Kräfte getrockneter Froschwarzen oder
geriebener Haifischzähne in der traditionellen chinesischen Medizin
erinnern. Unter dem Strich möchte man als Konsument gar nicht
wissen, welcher Zusammensetzung diese geheimen Ingredienzien sind,
und wenn man sich dann noch vom Weinbauern erklären lässt, wie aus
einem spülenden Aufguss des Trebers unter Zugabe ähnlich
geheimnisvoller Pülverchen, die eine rückstandsfreie Zersetzung
vormals recht feststofflich erscheinender Fruchtreste bewirken, eine
trübe Suppe entsteht, die man dann mit Hilfe interessanten
Kupfergeschirrs und alchemistischer Destillationsvorgänge in
hochprozentige Verdauungshilfemedizin verwandelt, die man im
Interesse eines unverätzten oberen Verdauungstraktes niemals länger
als eine halbe Sekunde im Rachenraum behalten darf sondern so schnell
wie möglich schlucken muss, im Vertrauen darauf, dass eine bis heute
von der eigenen Säure unbeeindruckte Magenwand auch diesem
chemischen Angriff erfolgreich widerstehen wird, schluckt man schnell
brav drei bis vier Portionen dieser Medizin und genießt das Gefühl,
zwar zu wissen, dass man da eigentlich Dinge im Magen hat, mit denen
man sonst sein Silber polieren kann, um nicht zu sagen, die
Klomuschel zum Glänzen bringen, es aber als vollkommen egal
empfindet. Sollte das nicht wirken, empfiehlt sich ein fünftes oder
sechstes Glas, allerdings knallt das Zeug bei nur geringem
Überschreiten der Vorsichtsgrenze sofort in die Knie, die sich
plötzlich gefühlt in die falsche Richtung durchbiegen, und macht
aus Munterbleiben einen Leistungssport.
Man verträgt am Ende des ersten Lebenshalbjahrhunderts nicht mehr
ganz so viel wie am Ende des ersten Viertels.
Um auf die Frage eines geschätzten Lesers nach der Art des gezupften
Fragolino einzugehen: Fragolino rosso. Die gute alte Isabella-Traube,
die nicht nur in vergorenem Zustand einen sehr aromatischen Wein
ergibt, sondern auch (dafür zweige ich mir ein paar Liter des Saftes
ab) ein herzhaftes Gelee zum Verfeinern frühmorgendlicher
Kaisersemmeln.
Aber nicht nur diese steht auf dem Plan (also die Isabella, nicht die
Kaisersemmel), auch Traminer und Burgunder müssen den Stock
verlassen und sich in die Presse begeben, wo leider nicht mehr in
guter alter Tradition stramme Dorfjungfern unbeschuht den Saft aus
den Beeren stampfen sondern nur ein langweiliger Elektromotor mit
angeflanschtem Häckselwerk das Feste vom Flüssigen trennt. Es ist
leider nichts mehr perfekt auf dieser Welt, aber dem Geschmack des
Rebensaftes soll dies keinen Abbruch tun. Und ich will ja auch nicht
als schnöder Maschinenstürmer erscheinen. Es gibt aber Dinge, die
kann keine Maschine ersetzen. Die nackten Waden strammer Dorfjungfern
zum Beispiel.
Noch drei Tage, dann ist der Berg leer aller Dinge, die sich in
wohlschmeckende Flüssigkeiten diversen Alkoholgehaltes verwandeln
lassen. Und mein Kofferraum voll der Dinge, die aus der Arbeit des
letzten Jahres entstanden sind, abgefüllt in schlichtes Glas und
versiegelt mit echtem Kork, wie es sich gehört, denn das wahrhaft
Gute braucht weder schreiende Werbung noch anbiedernde Verpackung
sondern nur guten Schutz gegen Verderben.
Was für ein sanfter und inhaltsleichter Text, und doch so voller
Gleichnisse, die zu finden ich jedem selbst überlasse...
Intensive Farbe und bereits beim ersten Schluck von interessanter Textur. Samtig und duftig, komplexe Aromen, feine Säure, dabei durchaus bodenständig; entfaltet beim zweiten Schluck seine volle Eleganz und mineralisch funkelnde Struktur. Schöne Röstaromen, weckt bukolische Visionen und ist lang im Abgang. Fazit: mehr davon!
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