Montag, 21. November 2016

Gastkommentar: Der beste Freund der Globaliserung ist die Krise.

 von Herzberg

In grauer Vorzeit war die herrschende Klasse konservativ, das sich nach Veränderung sehnende Volk statt dessen war progressiv eingestellt. Kritik erfolgte in der Regel von unten nach oben, mit gelegentlich gewaltsamen Entladungen, aus der mal die eine, mal wieder die andere Seite siegreich hervorging, aufdaß repressive und liberale Epochen sich abwechselten und ein grober Trend nur auf einer sehr großen historischen Skala erkennbar war.

Heute erleben wir das exakte Gegenteil, bei dem auf Veränderungen drängende Machthaber sich in nie dagewesener Form kritisch an einem konservativen und friedfertigen Volk abarbeiten, ein Umstand, der durch Gauks bekanntes Statement, nicht die Eliten seien das Problem, sondern die Bevölkerungen, explizit auf den Punk gebracht wurde. Wie konnte es dazu kommen?

Seit es Demokratie gibt, existieren kluge Leute, die Machthaber instruieren, wie sie diese Herrschafts- form für ihre Vorteile nutzen können, dessen Essenz im Vortäuschen besteht, die Basis hätte das Sagen und bestimme ihr eigenes Schicksal. Während in Diktaturen die Frontlinie klar erkennbar ist, findet sie sich in Demokratien tausendfach fragmentiert in Gesetzen, Verordnungen und neugeschaffenen, bürgerfernen Institutionen, die über Jahrzehnte hinweg schleichend, aber konsequent, eine Freiheit nach der anderen kassierten. Geschäftsschädigende Unruhen bleiben aus, während der Souverän immer mehr zum mittellosen Passagier im eigenen Boot verkommt.

Fragt man den naiven Untertanen, wie es dazu kommen konnte, antwortet er vorhersagbar, die Mehrheit hätte es eben so gewollt und Repäsentanten hätten den kollektiven Volkswillen bloß umgesetzt. Das mit der Bewältigung seines eigenen Alltags ausgelastete Individuum weiß nichts von Sozialforschung, von der Psychologie der Massen, Mitteln der Propaganda und der Tatsache, wonach exakt dies jenes Herrschaftswissen darstellt, welches es zur erfolgreichen Manipulation der Untertanen bedarf.

Sozialismus und Kollektivismus standen niemals im Ziel, dem Individuum eine bessere Zukunft zu ermöglichen, sie dienen einzig der Bildung einer pulverisierten und zur Selbstorganisation unfähigen Masse, gelenkt von einer kleinen Oberschicht. Progressivität steht hierbei für den das Endziel herstellenden Prozess.

Der semantische Bruder der Progressivität ist die vielzitierte Globalisierung, die nicht grundlos von identen Kreisen permanent in die debattorische Waagschale geworfen wird. Dem Narrativ nach ist die Veränderung unaufhaltsam, jeder Widerstand sei zwecklos und führte bei Erfolg alternativlos zu ökonomischen und gesellschaftlichen Rückschritten inform von Verarmung und Krieg. 

Wäre Globalisierung bloß der Effekt von technologiebedingt verkürzten Handels- und Kommuni-kationsrouten und somit Synonym für die Folgen eines intensivierten Austauschs von Gütern und Information, wäre sie organisch und ein evolutionär aus sich selbst heraus, aus der Natur des Menschen bedingt ablaufender Prozess, dann sähen sich Bürger tatsächlich „nur“ mit den Konsequenzen von Fortschritt konfrontiert — mit all den hierfür nötigen Anpassungen. Bestimmten sie von der Basis weg das Tempo und gäbe es lokale Möglichkeiten zum Trial and Error, bestünde nur geringer Anlaß zur Sorge.

Was wir jedoch in Wahrheit erleben, ist eine gezielt von oben betriebene Gleichschaltung, eine McDonaldisierung in allen Belangen, ein forciertes Überstülpen von ganz bestimmten Lösungen auf Fragen, zu denen die Völker niemals gehört wurden. Weil der Legende nach alles mit allem verbunden sei (The Interconnected World), ergäbe sich eine dem Individuum undurchdringbare Komplexität, die allein von Machthabern auf möglichst internationaler Ebene zu adressieren sei.

Der beste Freund der Globaliserung ist die Krise. Dann und nur dann, wenn es an allen Ecken brennt, begehrt der Untertan nach dem weisen Gremium, das heldenhaft in Hinterzimmern den morgigen Weltuntergang gerade noch abwendet und große legistische Würfe tätigt, die das Unheil ein für alle mal abwenden. Dann kommt die nächste Krise, mit sinngemäß identer Antwort, bloß eine Nummer größer.

The same procedure as every year. Für globale Eliten sind wahrhaftig die Bevölkerungen das Problem, speziell jene, denen langsam der Konnex zwischen Psychologie, sorgsam herbeigeführten Krisen und daraufhin handstreichartig installierter Globaliserung dämmert.

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