von Herzberg
In grauer Vorzeit war die herrschende Klasse konservativ, das sich
nach Veränderung sehnende Volk statt dessen war progressiv eingestellt.
Kritik erfolgte in der Regel von unten nach oben, mit gelegentlich
gewaltsamen Entladungen, aus der mal die eine, mal wieder die andere
Seite siegreich hervorging, aufdaß repressive und liberale Epochen sich
abwechselten und ein grober Trend nur auf einer sehr großen historischen
Skala erkennbar war.
Heute erleben wir das exakte Gegenteil, bei dem auf Veränderungen
drängende Machthaber sich in nie dagewesener Form kritisch an einem
konservativen und friedfertigen Volk abarbeiten, ein Umstand, der durch
Gauks bekanntes Statement, nicht die Eliten seien das Problem, sondern
die Bevölkerungen, explizit auf den Punk gebracht wurde. Wie konnte es
dazu kommen?
Seit es Demokratie gibt, existieren kluge Leute, die Machthaber
instruieren, wie sie diese Herrschafts- form für ihre Vorteile nutzen
können, dessen Essenz im Vortäuschen besteht, die Basis hätte das Sagen
und bestimme ihr eigenes Schicksal. Während in Diktaturen die Frontlinie
klar erkennbar ist, findet sie sich in Demokratien tausendfach
fragmentiert in Gesetzen, Verordnungen und neugeschaffenen, bürgerfernen
Institutionen, die über Jahrzehnte hinweg schleichend, aber konsequent,
eine Freiheit nach der anderen kassierten. Geschäftsschädigende Unruhen
bleiben aus, während der Souverän immer mehr zum mittellosen Passagier
im eigenen Boot verkommt.
Fragt man den naiven Untertanen, wie es dazu kommen konnte, antwortet
er vorhersagbar, die Mehrheit hätte es eben so gewollt und
Repäsentanten hätten den kollektiven Volkswillen bloß umgesetzt. Das mit
der Bewältigung seines eigenen Alltags ausgelastete Individuum weiß
nichts von Sozialforschung, von der Psychologie der Massen, Mitteln der
Propaganda und der Tatsache, wonach exakt dies jenes Herrschaftswissen
darstellt, welches es zur erfolgreichen Manipulation der Untertanen
bedarf.
Sozialismus und Kollektivismus standen niemals im Ziel, dem
Individuum eine bessere Zukunft zu ermöglichen, sie dienen einzig der
Bildung einer pulverisierten und zur Selbstorganisation unfähigen Masse,
gelenkt von einer kleinen Oberschicht. Progressivität steht hierbei für
den das Endziel herstellenden Prozess.
Der semantische Bruder der Progressivität ist die vielzitierte
Globalisierung, die nicht grundlos von identen Kreisen permanent in die
debattorische Waagschale geworfen wird. Dem Narrativ nach ist die
Veränderung unaufhaltsam, jeder Widerstand sei zwecklos und führte bei
Erfolg alternativlos zu ökonomischen und gesellschaftlichen
Rückschritten inform von Verarmung und Krieg.
Wäre Globalisierung bloß der Effekt von technologiebedingt verkürzten
Handels- und Kommuni-kationsrouten und somit Synonym für die Folgen
eines intensivierten Austauschs von Gütern und Information, wäre sie
organisch und ein evolutionär aus sich selbst heraus, aus der Natur des
Menschen bedingt ablaufender Prozess, dann sähen sich Bürger tatsächlich
„nur“ mit den Konsequenzen von Fortschritt konfrontiert — mit all den
hierfür nötigen Anpassungen. Bestimmten sie von der Basis weg das Tempo
und gäbe es lokale Möglichkeiten zum Trial and Error, bestünde nur
geringer Anlaß zur Sorge.
Was wir jedoch in Wahrheit erleben, ist eine gezielt von oben
betriebene Gleichschaltung, eine McDonaldisierung in allen Belangen, ein
forciertes Überstülpen von ganz bestimmten Lösungen auf Fragen, zu
denen die Völker niemals gehört wurden. Weil der Legende nach alles mit
allem verbunden sei (The Interconnected World), ergäbe sich
eine dem Individuum undurchdringbare Komplexität, die allein von
Machthabern auf möglichst internationaler Ebene zu adressieren sei.
Der beste Freund der Globaliserung ist die Krise. Dann und nur dann,
wenn es an allen Ecken brennt, begehrt der Untertan nach dem weisen
Gremium, das heldenhaft in Hinterzimmern den morgigen Weltuntergang
gerade noch abwendet und große legistische Würfe tätigt, die das Unheil
ein für alle mal abwenden. Dann kommt die nächste Krise, mit sinngemäß
identer Antwort, bloß eine Nummer größer.
The same procedure as every year. Für globale Eliten sind wahrhaftig
die Bevölkerungen das Problem, speziell jene, denen langsam der Konnex
zwischen Psychologie, sorgsam herbeigeführten Krisen und daraufhin
handstreichartig installierter Globaliserung dämmert.
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