…starb heute vor einhundert Jahren, am 21. November 1916. Moment mal, werden jetzt die historisch versierten Leser einwenden: Wilhelm II, Zar Nikolaus II, Kaiser aller Reußen, und der ebenso im kaiserlichen Range — dem von Indien — stehende König von England, sowie der Großsultan des Osmanischen Reiches, und schließlich der Kaiser von Japan lebten und regierten aber auch danach noch (und letzterer Thron steht gar bis heute, als letzter kaiserlichen Ranges) …
Und doch war dieser Kaiser Franz Joseph — und so wurde es auch schon damals empfunden und ausgedrückt — in gewissem Sinne „der letzte Monarch alter Schule“, da er (als einziger nach dem Tode von Queen Victoria) noch weit hinein ins frühe 19. Jahrhundert wurzelte mit seinem Geburtsjahr 1830, als im Biedermeier ein Fürst Metternich mit routinierter Hand die Geschicke Europas lenkte.
Als achtzehnjähriger Jüngling im Revolutionsjahr 1848 durch die Abdankung seines Onkels und den Thronverzicht seines Vaters auf den Thron gelangt, hatte er diesen unvorstellbar lange 68 Jahre inne, länger sogar als Queen Viktoria (64 Jahre), und auch die jetzige Queen Elizabeth II hat inzwischen zwar die Regierungsdauer ihrer Vorgängerin übertroffen, aber die Kaiser Franz Josephs noch nicht erreicht.
In damaligen Zeit doch deutlich geringerer Lebenserwartung war „der Kaiser“ (und wenn in Österreich vom „Kaiser“ ohne näheres Beiwort gesprochen wird, ist bis heute stets nur er, und nicht etwa sein ephemerer Nachfolger Karl, oder sein Großvater Franz I (nach Haydns Hymne des „Gott erhalte“ familiär auch „Haydn-Franz“ oder etwas förmlicher „Kaiser Franz“ genannt) für die meisten seiner Untertanen schon „seit immer“ Kaiser, sein Geburtstag am 18. August, als „Kaisergeburtstag“ ein Staatsfeiertag, ist bis heute vielen, durchaus auch alles andere als monarchistisch angehauchten Österreichern als Datum präsent.
Die nachdenklichen Worte von Heinz Piontek über „den Kaiser“ in einer Reisenotiz über Wien wurden auf diesem Blog bereits zitiert:
Merkwürdig, daß der immer wieder gescheiterte Franz Joseph von seinem Volk vergöttert worden war. Warum hatte das Volk, sonst doch nur für die Sieger, die Glücksritter schwärmend, ausgerechnet an diese Gestalt sein Herz gehängt? Von den Photos des Kaisers strahlte nichts aus, was einen Fingerzeig hätte geben, die außergewöhnliche Liebe erklären können. Ein ordensgeschmückter alter Herr, die Plagen eines langen Lebens in den Schattengruben des Gesichts. Einer ohne Fortün und doch ausgezeichnet durch ein einzigartiges Glück.
Welche Verehrung seitens weitester Kreise in Österreich-Ungarn dem Kaiser und König Franz Joseph entgegengebracht wurde, erkennt man aus Romanen eines Joseph Roth oder selbst (wenn auch ironisch gebrochen) eines Robert v. Musil, oder auch aus dem folgenden Gedicht, welches Stefan Zweig — nur drei Jahre vor Franz Josephs Tod und nur ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs — in impressionistischer Lautmalerei und mit durchaus glaubwürdigem Enthusiasmus (auch und gerade für einen längst Erwachsenen: Zweig war damals bereits 32!) dichtete:
Der KaiserSchönbrunn 1913
Noch zittert das Frührot nur scheu um das Dach,
Nachtnebel saugt den Glanz von den Scheiben,
Doch drei Fenster funkeln schon längst im Palast:
Der Kaiser ist wach.
Eh der Morgen weiß in die Straßen fällt,
Steigt sein Wille hinab in die schlafende Welt.
Diener haben die weiße Last
Der Staatsdekrete zum Unterschreiben
Bereitgelegt.
Die Feder fegt
Wie Frühwind durchs Laub hin über das Knistern
Der Blätter, die Bitte und Botschaft flüstern.
Und die eben noch welk waren, blaß und verdorrt,
Blühen und fruchten von diesem Wort.
Der Kaiser schreibt mit fliegendem Stift,
Und Schicksal schafft jede Unterschrift.
Er schreibt – und in zwei Hände, nackt und schwach,
Schüttet er Macht,
Einen Tropfen aus seiner unendlichen Fülle:
Nun darf einer Heerführer, darf Richter sein,
Hinrollend den Würfel von Leben und Tod,
Doch sein Gebot
Ist nur Spiegelschein
Von seinem eigenen waltenden Willen.
Und wieder ein Rascheln – und einer ist Graf,
Eine siebenarmige Krone umzinkt
Den Namen, der jetzt golden aufklirrt und klingt.
Ein Blatt – und aus tausendjährigem Schlaf
Bäumt sich die Erde, aufsteigt ein Dom,
Die Türme schüttert der Hammer der Glocken,
Und ein Strom
Von Menschen füllt ihn in frommem Frohlocken.
Ein Schriftzug weiter – und irgendwo knarrt
Eine Kerkertür auf, eine Kette fällt.
Selig starrt
Ein hungriger Blick in die Fülle der Welt.
Und wieder ein Wort – und es sinkt ein Schafott,
Das schon sein Kreuz einem Mörder hinreckte,
Taumelnd stürzt und staunt der Erschreckte,
Zwei blutlose Lippen lobpreisen Gott.
Ein Blatt, ein Rascheln – der Krieg ist erklärt,
Wie eine zuckende Stichflamme fährt
Das Wort in den knisternden Zunder der Massen
Und stürzt den Donner über das Land.
Telegraphen sausen, Spruchfunken sprühn
Über die Meere den Blitz ihrer Botschaft hin,
Zeitungen flattern wie weiße Vögel
Über das Schäumen der Gassen im Schwung,
Der Sturm der Menge faßt ihre Segel
Und stürzt in das Meer der Begeisterung.
Bajonette blitzen
In stachligen Büscheln starr durch die Straßen,
Transporte entquellen den Magazinen,
Die Kasernen spein Ströme blaulodernder Mützen.
Auf brennenden Schienen
Rollen die Räder von allen Wegen
Einem einzigen Ziele entgegen,
Und die Kanonen schrein
Ihr mörderisches Wort in die Welt hinein.
Und wieder ein Rascheln, ein Federstrich –
Die aufgrölenden Wogen glätten sich,
Die Menge sickert zurück in das Land,
Und der Bauer stößt mit ruhiger Hand
Den Pflug in die brachgelegenen Schollen.
Er schreibt – und mit jedem Federstrich
Schwankt das Reich und verändert sich.
Blatt auf Blatt
Fällt mit Früchten und Blüten
Vom magischen Baum seines Willens ab,
Der funkelnden Krone,
Die nie entlaubt
Und mit uraltem Haupt
In die Urwelt ragt der Mächte und Mythen,
Wo die Götter noch über der Erde thronen.
So schafft er jeden Morgen die Welt. –
Dann tritt er hinaus,
Neugier und Ehrfurcht umscharen sein Haus;
Ein Kommando gellt,
Die Trommeln prasseln, ein Säbel klirrt,
Ein Ruf: die Waffen sind präsentiert,
Der Wagen saust vor.
Die Hüte sinken tief weggemäht:
Wie im Gebet
Hält die Menge erschauernd das Haupt geneigt,
Und erst da sein ernstes Antlitz sich zeigt,
Weht
Die knatternde Fahne des Jubels empor.
Durch ein Tor
Von Rufen, das bis zu den Dächern steigt,
An wallenden Wänden,
Die niederstürzen in Jauchzen und Schrei,
Fährt der Kaiser vorbei.
Triumph hält sein greises Haupt überdacht,
Demut umfängt seine grüßenden Hände,
Und helle Wellen der Ehrfurcht tragen
Den schlichten Wagen
Hinaus in das unendliche Meer der Macht.
Damals ahnte keiner, daß wohl das Allerhöchste Manifest „An meine Völker“ (dessen sprachliche Schönheit und Würde von keinem Geringeren als Karl Kraus, trotz seiner durchaus kritischen Haltung gegenüber der Habsburger-Dynastie, anerkannt wurde!) „wie eine zuckende Stichflamme“ den Krieg zu entzünden vermochte, doch das Glätten der „aufgrölenden Wogen“ des Krieges nicht mehr in der Macht des greisen Monarchen stand.
Aus seinen letzten Lebenswochen ist der Ausspruch überliefert: „Ein paar Wochen schaue ich noch zu, dann mache ich Schluß!“ Am Friedenswillen des Kaisers ist nicht zu zweifeln, doch konnte er gegen die Siegeszuversicht seiner weit mächtigeren deutschen Verbündeten seinen mäßigenden Einfluß nicht mehr durchsetzen.
Zwei Sätze aus seinem Mund sind es, die in Österreich bis heute sprichwörtlich blieben: einerseits das stereotype „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“, mit dem der Monarch ohne Unterschied alle ihm dargebrachten Huldigungen und Präsentationen künstlerischer, technischer und sonstiger Art zu quittieren pflegte. Dieser Satz resultierte aus seinen Gewissensbissen, die er nach dem Selbstmord eines der Architekten der Wiener Hofoper (heute: Wiener Staatsoper) verspürte, den er — wie damals übrigens „ganz Wien“ — wegen (angeblicher) stilistischer Mängel des Baues scharf kritisiert hatte.
Der zweite Satz war: „Mir bleibt nichts erspart!“ — der tiefempfundene Seufzer des durch viele Schicksalsschläge getroffenen Kaisers: verlorene Kriege, Selbstmord des einzigen Sohnes, Ermordung seiner geliebten Gattin, Kaiserin Elisabeth, Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand.
Und ein gütiges Geschick wußte bloß zu verhindern, das er auch noch das tragische Fanal des Schlußaktes seines alten, zerbrechenden Reiches miterleben mußte …
Danke für den Artikel.
AntwortenLöschenWie für alle Beiträge mit öffnendem Blick in die reichhaltige, immer wieder überraschende Historie.
Dieser Artikel ist schon allein wegen der Fotos, der Anekdoten und des Gedichts lesenswert.
Die Engel Gottes werden SKM ins Paradies geleitet haben.
AntwortenLöschenDas heutige Politpersonal wird gewiß von Engeln der anderen Seite ganz woandershin geholt werden (Gott ist schließlich gerecht).
Pie Jesu, Domine
AntwortenLöschendona ei requiem,
requiem sempiternam.