Montag, 2. Mai 2016

Am 2. Mai 1946


… notierte der österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer (dessen später im heurigen Jahr noch gedacht werden soll) folgende Gedanken in sein Tagebuch:
Interpretation der eigenen Lage • Daß ich hier in der österreichischen Heimat infolge meiner vor neun Jahren schon Anfang 1937 abgebrochenen einstmaligen Sympathien zur Welt des Nazismus nunmehr die größten Schwierigkeiten habe, ja, eigentlich von allen Rechten ausgeschlossen mich finde, die mein Werk schützen und fördern würden: eben darin erblicke ich insofern einen Wert, als mich diese prekäre Lage vor dem Verlust des Gleichgewichts und der Objektivität bewahrt hat, der sonst sehr leicht wäre eingetreten — ja, auch schon wirklich eingetreten war, im Mai 1945, wo mich der Triumph über den Niederbruch des so lange inbrünstig und ohnmächtig gehaßten Feindes mit sich fort riß. Jedoch heute befinde ich mich selbst in den langen Reihen der Erniedrigten und Verfolgten und bekommen den Druck unserer Polizeimechanik zu spüren. Ohneweiters will ich mir eingestehen, daß ich, wäre dem nicht so, in dulci jubilo, in kritikloser Bejahung, in einer hemmungslosen Sympathie für unseren wiedererstandenen österreichischen Staat schwelgen würde, ohne den Verfolgten — deren Leiden ich dann nicht anschaulich kennen gelernt hätte — die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken; ja, vielleicht hätte sogar die Rachsucht, welche heute das Feld beherrscht, auch über mich Macht gewonnen und ich hätte den Unterlegenen die über sie verhängten Peinigungen vergönnt. Solcher Entgleisungen jedoch bin ich nun überhoben. Niemand wird schwerer versucht als er’s bestehen kann.

(aus: Tangenten. Tagebuch eines Schriftstellers 1940 bis 1950)
Kennzeichen des großen Schriftstellers, des großen Geistes überhaupt, ist vor allem anderen die Ehrlichkeit gegenüber sich selbst. Kleinere Geister finden ihr Genügen in der Vertretung einer Ideologie, oder — höchstens — dem Anstreben einer »Objektivität« (die sich zumeist dann doch nur als trügerische Verhüllung des ersteren erweist). 

Daß man anderen gegenüber ehrlich ist (in den Maßen des Menschenmöglichen, freilich), gebietet die Moral. Sich selbst nicht zu belügen — nur die Disziplin, aus der erst Größe überhaupt möglich wird.

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