Donnerstag, 21. April 2016

»Reader, I married him.«

Mit diesen lapidaren Worten beginnt das 38. Kapitel eines der brühmtesten Romane der englischen, nein: der Weltliteratur, »Jane Eyre«. Und man muß von Charakter schon ein ziemlicher Holzklotz sein, wenn sich bei der Lektüre nicht ein wenig Rührung einstellt.



Ich erinnere mich an einen geruhsam verfaulenzten Urlaubstag in Madeira Anfang der 90er-Jahre, an eine herrlich altmodische, kleine (aber feine) Pension in Funchal, in deren kleiner Bibliothek (ein — zwar leicht verstimmtes, aber was macht das schon! — Klavier lockte mich ursprünglich, den Platz am Swimming-Pool zu verlassen, um etwas leichte Musik à la Casablanca zu klimpern ...) mir das Buch in die Hände kam ... und mich die nächsten beiden Tage nicht mehr losließ.

(Bild: Wikipedia)
Der Name Charlotte Brontë sagte mir damals nicht viel, ich verwechselte sie mit ihrer Schwester Emily, deren »Wuthering Heights« (»Sturmhöhen«) ich als Hollywood-Klassiker gesehen hatte (freilich eher an der großartigen Filmmusik von Alfred Newman, als am Film selbst interessiert, aber das führt hier zu weit ...), und dachte mir: »Schau an, den Roman kenne ich ja gar nicht ...«

Zwei Tage (und ein informatives Nachwort) später wußte ich, daß es nicht bloß eine schriftstellernde Dame dieses Namens gegeben hatte — und daß dieser soeben gelesene Roman ein wirkliches, großes Meisterwerk ist.

Wie im Leben seiner Autorin »tut sich« (oberflächlich betrachtet) »nicht viel«. Arme Gouvernante verliebt sich nach harter Kindheit und Jugend in ihren Dienstgeber und heiratet ihn nach diversen, mal mehr, mal weniger glaubwürdigen Wechselfällen des Lebens: so hingeschrieben könnte es ebenso die Vorlage für einen Groschenroman vom Bahnhofskiosk sein.

Doch wie so oft: wichtig ist nicht, wovon ein Roman handelt (wovon handelt denn »Der Stechlin«? — ist doch nicht der Rede wert ...), sondern wie darüber gehandelt wird! Wie glaubwürdig die Personen vor dem Auge des Lesers erscheinen, wie bannend der Autor die Handlung so führt, daß man das Buch nicht aus der Hand legen möchte, auch wenn man ahnt, was wohl als nächstes »passieren« könnte ...

Ohne der armen Emily Brontë großes Unrecht anzutun, glaube ich wohl behaupten zu können, daß ihre ältere Schwester wohl das vielleicht weniger »dramatische«, jedoch literarisch wertvollere Werk verfaßt hat! Wo die »Sturmhöhen«in wilder Leidenschaft wüten, ist »Jane Eyre« quasi auf einen intimen, »kammermusikalischen« Ton gestimmt: elegisch, versonnen — und doch von einer innerlich bebenden Leidenschaftlichkeit, die einen mitreißt.

Wie das Leben dieser Jane Eyre, so war auch das ihrer Schöpferin von Bescheidung, Entbehrung und oft unüberwindlich scheinenden Schwierigkeiten geprägt — und es endete mit einem tragisch frühen Tod der frischvermählten, ihr erstes Kind erwartenden Ehefrau eines guten, aber nicht bedeutenden Mannes weit weniger schön als der Roman, in den die Autorin sicherlich viele ihrer Träume gelegt hatte ...

Heute vor zweihundert Jahren, am 21. April 1816, begann dieses nicht allzu lange währende Leben, das trotz seiner begrenzten Dauer und seinem unscheinbaren Verlauf doch eines der größten Werke der Literatur vervorbringen sollte.


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