Man kann als Ästhet ja auch die Aufstellung von Weihnachtspunsch-Ständen vor dem Schloß Schönbrunn grauenvoll finden, ohne deshalb als Legitimist an der Restauration der Habsburger-Monarchie zu arbeiten ...
1. Die Hoffnung auf einen »pastoralen Aufbruch«, auf eine »Ausrichtung der ganzen Kirche auf das Christusmysterium«, auf eine »geschwisterliche« Kirche und wie diese Schlagworte sonst noch hießen, war Illusion und wird m.E. immer Illusion bleiben. Eine Organisation von mehr als einer Milliarde Mitgliedern schafft das nicht, und wer es trotzdem versucht, gleicht den Verrückten um Adorno & Co., die ernsthaft glaubten, daß sich Otto Normalverbrauchers statt für die »Lustige Witwe« oder (wenn's hoch geht) Beethovens Neunte bzw. die »Meistersingern« jemals freiwillig für Webern, Stockhausen oder Logothetis begeistern würden. Eine enthusiasmiert-urchristengemeindliche Euphorie-Stimmung im Weltformat ist als bloße Wunschvorstellung sicher naiv, vielleicht sogar herzerwärmend — nur: wenn man sich sowas jedoch »in real« vorzustellen versucht, ganz im Gegenteil ein Grund (wenigstens für Menschen wie mich), so schnell wie möglich ganz weit wegzulaufen! Es ist vielleicht nicht ganz so schlimm wie das Zungenreden in Gemeinden des pflingstlerischen Narrensaumes protestantischer Freikirchen, aber kommt diesem Tollhaus bereits ziemlich nahe ...
2. Statt einer erhofften participatio actuosa aller Gläubigen, kam es zum rapiden »down-grading« der Liturgie-Kultur: der Entertainer am Altar wurde geboren, der Gremialkatholizismus machte sich breit und forderte offenbar den stotternden Vortrag von alttestamentlichen Lesungen und Paulus-Episteln als Vorrecht einer »Geschwisterlichkeit« der Niveaulosigkeit.
3. Die großen kirchenmusikalischen Traditionen — von der Gregorianik bis hin zu den klassischen »Orchestermessen« — wurden ebenso aufgegeben (oder bis zur Unkenntlichkeit entstellt), wie auch die bis dahin selbstverständliche Beherrschung liturgischer Formen, die einer — meist peinlichen — Formlosigkeit wichen. Und drumherum wucherte die ständige »Belaberung« mit pädagogisierenden Textbausteinen, die zur persönlichen Information, z.B. in Faltblättern in der Kirchenbank aufliegend, noch ihre Berechtigung hätten, jedoch als Dauerberieselung vom Altar (und noch von diversen »sich einbringenden« Gemeindefunktionären mit verteilten Rollen vorgelesen) einfach ein Greuel sind.
Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: ich persönlich »brauche« das alles im Grunde nicht! Und zwar nicht das, was jetzt so üblicherweise abläuft (das schon gar nicht!), aber ich kann auch sehr gut ohne den (angeblich so guten, alten) »Tridentinischen Ritus« leben. Ein Prediger im schwarzen Anzug bzw. im adretten »Clergyman«, der, basierend auf einem Bibeltext, über eine interessante Problemstellung eine tiefgründige Predigt hält, darum herum einige den Ablauf strukturierende Gebete und Responsorien gruppiert, und das ganze noch mit etwas hochwertiger (sic!) Sakralmusik umrahmen läßt — das wäre für meinen Geschmack völlig genug (ich bin ganz offenkundig kein »Mysterien-Mensch«) ...
Wenn mir statt dessen nach einem schlurfenden Einzug des Priesters mit div. MinistrantInnen zu einem abgegriffenen Kirchenlied'l aus dem Gotteslob (egal, ob aus dem schlechten alten, oder dem noch mieseren neuen), ebendieser Pfarrer zunächst einen »guten Morgen« wünscht, belangloses »zur Einführung« (wohin denn? — wenn ich ein bisserl süffisant fragen darf) plaudert, dann irgendwelche zusammengestoppelte Kyrie-Rufe zum besten gibt, bevor ein Mitglied der Gemeindejugend, im verschlampten Schlabberpulli an den Ambo tretend, einen offenkundig unverstandenen (und daher dann auch unverständlich vorgetragenen) Prophetentext aus dem Alten Testament herunterleiert, und so weiter und so fort ... — dann wächst in mir der Unmut, und ich frage mich: muß das so sein? Was bringt mir so eine in der Kirche vergeudete Stunde? Geistige Erbauung? Spirituelles Wachstum? Daß ich nicht lache ...
Mosebachs Diktum von der »Häresie der Formlosigkeit« hat schon seine Berechtigung — wenngleich ich beim Wort »Häresie« als (in den Augen der Hochkatholen) alter Häretiker immer so einen leichten Brechreiz verspüre. Ich würde statt dessen lieber von einer »Chuzpe der Formlosigkeit« sprechen — vergleichbar einem schlampig in fettfleckiges Geschenkpapier gepacktes Geburtstagspräsent, das mir auch keine rechte Freude machen würde.
Man sollte aber auch nicht ungerecht sein, und vergessen, daß uns allen (mit wenigen, und mir nicht eben sympathischen Ausnahmen!) die lähmende Repressions-Atmosphäre der vorherigen Kirchenära angesichts unserer heutigen Erfahrungen wohl längst unerträglich wäre ... mit ihrem Standesdünkel der Kleriker, mit ihren allgegenwärtigen, bigotten Ge- und v.a. Verboten, mit ihrer allzu oft nur heuchlerisch-verlogenen »Sittlichkeit« etc. etc. — ich habe das in meiner Kindheit noch ein bisserl mitbekommen, und müßte lügen, wenn ich sagte, es ginge mir ab.
»Zwiespältig«, schrieb ich weiter oben. Ebenso zwiespältig, wie ich den heute schon recht betagten letzten Konzils-Dinosauriern gegenüberstehe, die durch das derzeitige Pontifikat eine — späte — Morgenluft wittern und ... ... mir so unsympathisch sind, wie man sich das nur vorstellen kann. Ich weiß, das ist kein Argument (oder wenigstens kein gutes). Aber eine tiefe Antipathie durchzieht meinen Sinn, wenn ich diese Typen sehe: linkskatholisch, gutmenschlich, all diese abgegriffenen Floskeln der Alt-68er-Generation um sich werfend, mit ihrer unerträglichen Mischung aus ständig-gekränkt-sein und Besserwisserei. Auch sie Produkte ebendieses »Konzils der Buchhalter«, unerquicklich in ihrem betulichen Schwulst eines Geschwisterlichkeits-Mystizismus, der glaubt, durch Gitarrenmusik und Turnschuhe zur grünen Sack-Kasel in der Kirche endlich »den Fortschritt« eingeläutet zu haben. Mystiker von der Rotte Rahners — das ist der, der bekanntlich vorhersagte, daß der Christ des dritten Jahrtausends ein Mystiker sein werde, oder er werde nicht mehr sein: was aus dem Munde eines »schlechthinig« (eine seiner typischen Wortprägungen) pedantisch-kleinkarierten Geistes einfach drollig bis peinlich klingt ...
Ach lassen wir's genug sein — ich sagte ja schon: über Sibelius schreibe ich lieber ...
P.S.: die von Kollegen Severus unlängst angestimmten Jubelrufe werden von ihm jetzt möglicherweise mit Bedauern zurückgenommen. Nun — auch das ist eine Konsequenz meiner Ehrlichkeit, mit der ich eben leben muß ...
Nein, werter Mitblogger - ich sehe für mich keinen Anlass, meine "Jubelrufe" - da gänzlich unernst-satirisch(-boshaft ;-)) gemeint - bedauernd zurückzunehmen. Andererseits kann auch ich sehr gut mit Ihrer Ehrlichkeit leben und darüber hinaus über weite Strecken Ihrer Beurteilung der "nach-konziliaren" Kirche zustimmen; denn wenn mich etwas noch mehr anwidert als pseudo-liturgisches Kasperltheater, dann ist es die oft unerträgliche Art, in der die kirchensteuer-gemästete deutsch-katholische Verbands-, Gremien- und Funktionärskirche dem derzeit herrschenden Polit-Establishment hinterherschleimt ...
AntwortenLöschenDennoch glaube ich an meine Kirche - aber das ist ein weites Feld ...