Dienstag, 14. April 2015

»Sic semper tyrannis«

US-Präsident Abraham Lincoln ist guter Laune, als er am 14. April 1865 mit seiner Frau Mary das Ford's Theatre betritt. Vor wenigen Tagen ist der US-Bürgerkrieg (zur interaktiven Zeitleiste) für die Nordstaaten siegreich zu Ende gegangen. Auf seine persönliche Sicherheit achtet der von vielen Südstaatlern gehasste Präsident der Union wenig. Er ist der Meinung, dass jeder, der ihn töten will, ohnehin nicht daran gehindert werden könne. Ein Leibwächter begleitet ihn zwar ins Gebäude, in seiner Loge ist er aber ungeschützt. Im Theater läuft die Komödie "Our American Cousin". Lincoln und seine Frau amüsieren sich, halten Hände.

Dann spricht der zu diesem Zeitpunkt allein auf der Bühne stehende Schauspieler Harry Hawk um 22:15 Uhr folgende Worte: "Don’t know the manners of good society, eh? Well I guess I know enough to turn you inside out, old gal — you sockdologizing old man-trap!" Es sind die letzten Worte, die Lincoln hört.

Dann fällt ein Schuss, kurz darauf springt ein Mann aus der Präsidenten-Loge auf die Bühne. Viele im Publikum erkennen den Mann, der schon oft in dem Theater gespielt hat: Es ist der Schauspieler John Wilkes Booth. Er schreit die Worte "sic semper tyrannis" ("So immer den Tyrannen"), ehe er hinkend flüchtet. Die Verwirrung ist groß: Gehört die Szene zum Stück?
So wird uns die Geschichte erzählt. Ein Schauspieler als Mörder? Ach, macht mal halblang (wie die Nordlichter sagen) ... wer soll denn glauben, daß da bloß ein paar Dilettanten auf Umsturz mimten?! Die Frage nach den Hintermännern wurde sicherheitshalber gar nicht gestellt, und der Attentäter von einer Polizeikugel getroffen (die ohne Prozeß kurzen Prozeß machte); ein paar Strolche und (aller Wahrscheinlichkeit nach) Unschuldige werden gehängt — und alles ist in (geklärter) Butter? Es erinnert fatal an heutige Vorgehensweisen heutiger Regierungen zur Rechtfertigung der totalen Aushebelung der Grundrechte ... da gibt's dann auch immer irgendwelche obskure »Attentate«, »Flugzeugabstürze« etc. ...

Besser gefällt mir da der sarkastische Spruch, der seitdem bei Gelegenheit gern zitiert wird: »So, other than that, how did you enjoy the play, Mrs. Lincoln?«

Abraham Lincoln war jener Präsident, unter dem die Grundsteine für die Omnipotenz der Bundesstellen gelegt wurden, unter dem der Alternativentwurf eines wirklich föderalen Nordamerika endgültig Makulatur wurde. Unter dem ein Bund freiheitsliebender früherer Kolonien zu einem künftigen Imperium umgeschmiedet werden sollte. Und Lincoln's Skript war (und ist seitdem) bei weitem nicht so harmlos unterhaltend, wie das, dessen Ende er leider nicht mehr mitbekam (über das unter- und abgebrochene Stück informiert dieser recht unterhaltsam geschriebene Artikel). Die Schlußszenen des Lincoln-Skripts sind wir gerade im Begriffe, mitzuerleben — und sie sind nicht so geartet, daß man uns danach fragen wird, ob sie uns gefallen haben.

Auch das Leben von Tyrannen endet. Und von Tyranneien — sogar von denen, die ihren Charakter als Tyrannis geschickt zu verbergen wissen. »Sic semper tyrannis«: John Wilkes Booth wußte, warum er diese Worte wählte ...

4 Kommentare:

  1. Ich stelle mir manchmal ganz gerne, rein zur Unterhaltung, die folgende Szene vor: George Washington oder Thomas Jefferson würden aus ihrem Grab auferstehen, den heutigen Zustand der USA sehen und dann das einzig richtige tun: die komplette Führungsriege aufhängen lassen. Ohne Ausnahme.

    FritzLiberal

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  2. Ich bin immer wieder erfreut, daß Sie einige Dinge so sehen.

    Ich frag' mich ob wir bei John F. Kennedy derselben Meinung sind. Und die ist von meiner Seite mindestens so negativ wie Ihre zu Lincoln. Wenn ich höre: Frage nicht was Dein Land für Dich tun kann sondern Du für Dein Land.

    Brauche ich nichts anderes mehr...

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  3. Cher FDominicus,

    meine Meinung zu JFK ist sicherlich von der Ihren kaum verschieden ...

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  4. Das Problem ist nur, dass diejenigen, die ihn aus dem Weg räumen haben lassen, noch weit größere Ungusteln sind.

    FritzLiberal

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