Fast einhundertdrei Jahre sind es bei ihm geworden, und heute — lebte er noch — wäre er eben einhundertzwanzig Jahre alt. Ob der Bundesgauckler und die alternativlose frühere FDJ-Sekretärin aus diesem Anlaß auch kämen, ihn zu ehren? Vermutlich ja, denn die sind ja überall, wo sie Blitzlichtgewitter wittern. Weil wir schon beim Wittern sind — eine feingestimmte Nase hatte er zweifellos! Für Vergangenes ebenso wie für Künftiges.
Ernst Jüngers Lebenswerk (d.h.: 22 großformatige Bände inkl. der Supplemente) wirklich zu würdigen, ist auf einem Blog weder Zeit noch Platz — das erforderte wenigstens fünfzig Seiten (oder mehr). Deshalb nur einige wenige Andeutungen, was — zu dem obigen familiär-biographischen Grund — diesen Autor für mich so faszinierend macht.
Jünger ist der Prototyp eines »essayistischen« Autors (sein Erzählwerk ist bloß getarnte Essayistik!), und das ist in der deutschen Literatur so selten, wie in der französischen häufig. Er verbindet freilich französische Essay-Eleganz mit deutscher Gründlichkeit zu einem ebenso ungewöhnlichen, wie sprachlich faszinierenden Ganzen.
Freilich muß ich zugeben: meine Annäherung an Ernst Jünger erfolgte zunächst von der — wenigstens für mich — »falschen« Seite, nämlich über die Erzählwerke, nämlich über die »Marmorklippen« und »Heliopolis«. Denn wenn ich auch von der kühlen, stilisierten Sprache beeindruckt war, so war mir doch alles viel zu sehr »hinter Glas« gemalt, als daß ich mich dafür wirklich hätte begeistern können.
Erst die Lektüre von »Gärten und Straßen« änderte das mit einem Schlag. Aufgelesen in einem Antiquariat, mit etwas Neugier durchblättert, las ich mich daran bald fest, insbesondere, weil jene Landschaft Nordfrankreichs, die Jünger darin bescheibt, von mir einige Jahre vorher selbst bereist worden war, und Jüngers Gedanken und Eindrücke einen faszinierenden Kontrapunkt zu meinen Erinnerungen spielten.
Endgültig gewonnen hatte er mich allerdings mit seinen »Annäherungen«, obwohl doch diese Analyse von Drogen im Selbstversuch mir als notorisch »unberauschten« Menschen (es sei denn, man zählte eine gelegentliche Zigarre oder das Glas Wein zum Mittagessen schon zum Suchtverhalten) eigentlich fern liegen müßte. Dennoch (oder vielleicht: gerade deshalb) war die Lektüre, welche Rauschzustände durch welche der geschilderten Drogen und mit welchen Manifestationen eintreten, für mich so faszinierend.
Und so begann meine Reise durch Jüngers Tagebücher, angefangen bei den »Strahlungen« (deren erster Teil, »Gärten und Straßen«, bereits erwähnt wurde), bis hin zum vielbändigen Spätwerk »Siebzig verweht«.
Ernst Jüngers Stil kann leicht parodiert werden — die lakonische Apodiktik der Sätze eignet sich hervorragend dazu. Nur ist das ein Beweise für die Minderwertigkeit des Stils? Auch Rilke, Benn oder Hofmannsthal wurden (teilweise höchst gelungen) parodiert ...
Bis heute gilt Ernst Jünger als »umstritten«. Das wäre auch durchaus begrüßenswert, denn wer zu früh zum »Klassiker« stilisiert wird, pflegt dementsprechend bald ein »Archiv-Klassiker« zu werden, den man zwar in Lexika und Germanistikprüfungslisten mitschleppt, aber kaum freiwillig liest — »Wer wird nicht einen Klopstock loben ...« — nur ist »umstritten« ja in Wahrheit das Codewort für die faktische Zensur der Gutmenschen, die uns damit einen Wink mit dem Zaunpfahl gibt, was zulässigerweise in den Diskurs eingebracht werden darf, und was nicht. Und wer in diesen Kreisen Jünger zitiert, läuft schnell Gefahr, per Kontakt-Kontamination zum Unberührbaren abzusinken.
Jünger selbst hat das nicht mehr betroffen: sein durch Leserinteresse (auch aus dem Ausland, v.a. aus Frankreich) erfolgreiches literarisches Schaffen überstand den Versuch untergriffiger Schmähung und gezielten Totschweigens. Und irgendwann war Jünger einfach so unvorstellbar alt geworden, und seine unermüdlichen Gegner einfach weggestorben, daß sich jede Fehde erledigte. Die Nachkommen nahmen den erratischen Block in der Literaturlandschaft als naturgegeben hin, zumal auch Jünger kaum von den Debatten und Zwistigkeiten des Literaturbetriebs Notiz nahm. Da klassifizierte er lieber Insekten oder Gräser — und wer die Eitelkeiten unserer Gegenwartsliteraten und ihrer Kritiker kennt, kann ihm nur rechtgeben ...
Schöne Würdigung, danke!
AntwortenLöschenBeim besten Willen fällt mir im 20. Jahrhundert kein Deutscher ein, der ihm an Stil und Geist gleichgekommen wäre.
Einspruch, cher »Anonym«,
AntwortenLöschenso sehr ich Jünger schätze ... aber mir fallen bei sogar halbwegs schlechtem Willen ein paar Deutsche ein, die ihm an Stil und Geist im 20. Jahrhundert gleichkommen!
Gleichkommend bei Anders- und Eigenartigkeit, selbstredend (geht ja nicht anders über einem gewissen Niveau)! Ein paar Namen?
Elias Canetti. Karl Kraus. Thomas Mann (auch wenn ich persönlich ihn ziemlich schrecklich finde!). Hermann Broch (leider fast vergessen!). Hofmannsthal. Benn (der nicht nur Lyriker war).
Eine geradezu »klassisch schöne« essayistische Wissenschaftsprosa schrieben Ludwig von Mises, Sigmund Freud und C.G. Jung.
Mit den Vorgenannten (und manch anderen, auf die ich jetzt in der Eile vergessen haben werde ...) ist Jünger sicher »in der Top-Liga« einzureihen. Gott sei Dank aber nicht als einziger!
Danke für Ihre ausführliche Antwort.
AntwortenLöschenVielleicht müssten wir aber auch in der Topliga gewisse Differenzierungen anbringen.
Dass die von Ihnen Angesprochenen, so weit ich sie kenne, einen guten Stil pflegten, ist klar. Aber mir geht es um die Verquickung von Stil und Geist, selbstredend um den guten Geist, an dem es etwa Th. Mann und besonders Freud mangelte.
Mises bekommt Punkteabzug wegen seiner Unduldsamkeit (das sage ich als Misesianer), Kraus wegen Zynismus, andere wegen einer gewissen Enge der Themen, usw. Alles Pauschalisierungen, klar.
Wenn man also die Breite und Wichtigkeit der Themen einbezieht, steht, so glaube ich, meine Behauptung.