Dienstag, 7. Oktober 2014

Ironie des Schicksal ist ...

... wenn ein ausgewiesen »antifaschistischer« Autor, einer, dem das Bemühen um die »Versöhnung mit Polen und Israel« ins Gesicht geschrieben stand, dann ausgerechnet im 88. Lebensjahr stirbt — tja: 89 wäre unverdächtig gewesen (87 vielleicht nicht, denn das könnte glatt für »H.G.«, den Reichsmarschall, stehen), aber so ...?

Nun, ich möchte hier keine pietätlose Süffisanz verbreiten: Siegfried Lenz war ein anerkannter Autor speziell der Bonner Bundesrepublik Deutschland, mit dem Altbundeskanzler κατ' ἐξοχήν befreundet (Rauch verbindet), und stets mit bedenkentragenden Statements zuhanden, wenn sie gerade gebraucht wurden. Auch das ist eine Funktion, die einer haben muß: Günter GraSS war bei diesem Spiel mit den NS-Verbrechern (deren Verbrechen zumeist darin bestand, hartnäckig etwas nicht oder kaum gewußt haben zu wollen) der bad cop, der mit der groben Nazikeule zuschlug, Lenz hingegen der good cop, der sich in das Vertrauen des Beschuldigten einzuschleichen wußte, und ihn schließlich zum reuevollen Geständnis brachte: »Ich habe gewußt, oder hätte wissen müssen, oder wenigstens können ...«

Nein, so wird ein Nachruf nix! Sorry an alle Hinterbliebenen und Fans des Autors — ich will es kurz machen, bevor ich noch mehr Porzellan zertrample: Siegfried Lenz war m.E. ein Autor fast ohne Fehl und Tadel. Er schrieb Romane und Erzählungen von gekonnt literarischem Niveau. Daß er mir nie ans Herz gewachsen ist, dafür kann er nichts und das werde ich ihm gerechterweise auch nicht vorhalten (davon abgesehen, daß er dieses Schicksal mit einer Menge berühmter Autoren teilt — Schiller weiß, wovon ich spreche...). Am besten gefiel er mir in seinen ostpreußischen Erzählungen (So zärtlich war Suleyken oder Der Geist der Mirabelle), am wenigstens sagte er mir gerade in seinen »großen« Romanen zu, die mich immer an patentierte Deutschmatura-Themenstellungen gemahnten. Was ich in ihrer Vorhersagbarkeit immer unsäglich ermüdend fand.

Ich kannte eine ältere Dame, die sich ab ihrer Pensionierung bei meinem »Haus- und Hof-Antiquar« (der inzwischen leider auch schon Geschichte ist) mit Lenzen eindeckte, was das Regal hergab (es gab eine Menge davon her!), und begeisterte sich an ihm. Einmal hatte sie irrtümlich einen Hermann Lenz mitgenommen, und brachte ihn ein paar Tage später enttäuscht zurück. Ich war gerade dort und erbarmte mich seiner — eine Erzählung namens »Schwarze Kutschen«. Ein Zwanzig-Schilling-Kauf, den ich nicht bereute ...

Als in den 20er-Jahren Richard Strauss' Ballett »Schlagobers« mit lauem Erfolg uraufgeführt wurde, ätzte ein Kritiker: »Wenn schon Richard, dann Wagner, wenn schon Strauss, dann Johann; und wenn schon Schlagobers, dann vom Demel« — ich will nicht so weit gehen so sagen: »Wenn schon Lenz, dann Hermann ...«

Doch in welche Weiterungen verirrt sich dieser Artikel! Beenden wir ihn daher mit einem Gedicht von Lenz — nämlich von Jakob Michael Reinhold Lenz — an Professor Kant zu Königsberg in Ostpreußen:
Mit echterm Ruhm, als unbesiegte Sieger
Nur groß an Glück, am Herzen wild als Tiger,
Durch Härt' und Wut und unerhörtes Schlachten
Zu haschen trachten;


Mit echterm Ruhm, als mancher Filz bezahlet,
Der mit des Reimers feiler Demuth prahlet,
Dem Strohmann gleich, den man mit Lappen decket
Und Kinder schrecket;


Mit echterm Ruhme wird der Mann belohnet,
In welchem Tugend bei der Weisheit wohnet,
Der Menschheit Lehrer, der, was er sie lehret,
Selbst übt und ehret:


Des richtig Auge nie ein Schimmer blend'te,
Der nie die Torheit kriechend Weisheit nennte,
Der oft die Maske, die wir scheuen müssen,
Ihr abgerissen.


Da lag der Orden und des Hofes Ware,
Und Kriegeszeichen, Turban und Tiare,
Der Priestermantel, Schleier, Kutten, Decken,
Die sie verstecken


Und sie stand nackend. Abscheu und Gelächter
Ward ihr zu Teile. Aber die Verächter
Des schlechten Kittels und berauchter Hütten
Samt ihren Sitten


Sah'n staunend dort, sie, die den Glanz der Thronen
Verschmähet, dort die hohe Weisheit wohnen,
Die an Verstand und Herzen ungekränket,
Dort lebt und denket.


Schon vielen Augen hat er Licht gegeben,
Einfalt im Denken und Natur im Leben
Der Weißheit Schülern, die er unterwiesen,
Mit Ernst gepriesen:


Mit reiner Lust ihr Leben angefüllet,
Weil sie den Durst nach Weisheit, den er stillet,
Doch nimmer löschet, glücklicher als Fürsten,
Zeitlebens dürsten:


Den Tod mit Rosen und Jasmin gezieret,
Voll neuer Reize ihnen zugeführet,
Daß sie den Retter aus des Lebens Schlingen,
Vertraut umfingen.


Stets wollen wir durch Weisheit Ihn erheben,
Ihn unsern Lehrer, wie er lehrte, leben
Und andre lehren: unsre Kinder sollen
Auch also wollen.


Ihr Söhne Frankreichs! schmäht denn unser Norden,
Fragt ob Genies je hier erzeuget worden:
Wenn Kant noch lebet, werdt ihr diese Fragen
Nicht wieder wagen.
Wäre das nicht auch ein treffliches Poem zum Preise des ehrenwerten Schriftstellers Siegfried Lenz ...?

1 Kommentar:

  1. Nebenbei, zu "Deutschstunde": Das fand ich ein tornamentum exquisitum, Jugendliche im Knast einen Aufsatz über "Die Freuden der Pflicht" unter Zwang verzapfen zu lassen.
    Beinahe noch übler, als bei uns Ostgoten, die wir vom siebenten Schuljahr bis zum achten Studiensemester mindestens einmal im Jahr eine A4-Seite schriftlich mit der Roten Grütze wabbeln mußten: Belegen Sie, warum die Schärfe des Klassenkampfes / die führende Rolle der Partei mit dem zunehmenden Sieg des Kommunismus dennoch ständig zunehmen muß... Oder, warum der Sozialismus / Kommunismus siegen wird.

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