... vor allem als Verfasser hintergründig »dadaistischer« Gedichte: Christian Morgenstern, dessen Todestag sich heute zum hundertsten Male jährt. Sicherlich: als der quasi Schöpfer einer eigenen Kunstgattung der »poetischen Absurdität« ist er unvergessen geblieben — aber es ist eben nicht der ganze Morgenstern, der aus Zeilen wie diesen spricht:
Ein Seufzer lief Schlittschuh auf nächtlichem Eis
und träumte von Liebe und Freude.
Es war an dem Stadtwall, und schneeweiß
glänzten die Stadtwallgebäude.
Der Seufzer dacht an ein Maidelein
und blieb erglühend stehen.
Da schmolz die Eisbahn unter ihm ein —
und er sank — und ward nimmer gesehen.
Oder diesen:
Ein Vierviertelschwein und eine Auftakteule
trafen sich im Schatten einer Säule,
die im Geiste ihres Schöpfers stand.
Und zum Spiel der Fiedelbogenpflanze
reichten sich die zwei zum Tanze
Fuß und Hand.
Und auf seinen dreien rosa Beinen
hüpfte das Vierviertelschwein graziös,
und die Auftakteul' auf ihrem einen
wiegte rhythmisch ihr Gekrös.
Und der Schatten fiel,
und der Pflanze Spiel
klang verwirrend melodiös.
Doch des Schöpfers Hirn war nicht von Eisen,
und die Säule schwand, wie sie gekommen war;
und so musste denn auch unser Paar
wieder in sein Nichts zurücke reisen.
Einen letzten Strich
tat das Geigerich —
und dann war nichts weiter zu beweisen.
Oder auch:
Zu einem seltsamen Versuch
erstand ich mir ein Nadelbuch.
Und zu dem Buch ein altes zwar,
doch äußerst kühnes Dromedar.
Ein Reicher auch daneben stand,
zween Säcke Gold in jeder Hand.
Der Reiche ging alsdann herfür
und klopfte an die Himmelstür.
Drauf Petrus sprach: »Geschrieben steht,
dass ein Kamel weit eher geht
durchs Nadelöhr, als Du, du Heid,
durch diese Türe groß und breit!«
Ich, glaubend fest an Gottes Wort,
ermunterte das Tier sofort,
ihm zeigend hinterm Nadelöhr
ein Zuckerhörnchen als Douceur.
Und in der Tat! Das Vieh ging durch,
obzwar sich quetschend wie ein Lurch!
Der Reiche aber sah ganz stier
und sagte nichts als: Wehe mir!
... um nur drei Beispiele (die sich über »Palmström« und die »Galgenlieder« fast beliebig vermehren ließen!) zu erwähnen. Doch so einzigartig sich der Autor mit Gedichten dieser Art — um es in einem Paradoxon zu formulieren — in die Literaturgeschichte eintrug, so ist doch sein Schaffen weitaus vielfältiger gewesen. Fraglos: die gedankenbefrachteten Gedichte, die gestern zitiert wurden, erlangten nie die Popularität der anderen, doch der Autor sah sie viel mehr als seinen »eigentlichen« Beitrag zur Literatur- und Geistesgeschichte an.
Doch so, wie Mozart für die hübsche Petitesse der »Kleinen Nachtmusik« jedermann bekannt ist, wogegen das Dissonanzenquartett nur wenigen etwas sagt, genau so zitiert jeder (und meist unwissend über den Urheber des Zitates):
Weil, so schließt er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf.
Ein instruktiver Artikel auf Wikipedia gibt eine gute Erstinformation zu Leben und Werk dieses im 43. Lebenjahr viel zu früh Dahingegangenen. Er teilt mit einem ganz anderen Autor, dessen auf diesem Blog in Kürze gedacht werden soll, freilich die Gunst des Schicksals, solcherart den gesellschaftlichen und geistig-seelischen Erschütterungen des Ersten Weltkriegs enthoben gewesen zu sein. Erschütterungen, die er in seinem Werk wohl vorausfühlte — die selbst mitzuerleiden ihm jedoch erspart blieb ...
Mein ehmaliger Physiklehrer pflegte zur Auflockerung des Unterrichtes Morgensterngedichte darzubieten.
AntwortenLöschenBesonders die "Unmögliche Tatsache" blieb mir derart in Erinnerung, daß ich sie mir memorierte. Wie z.B. das Märchen "Des Kaisers neue Kleider" beschreibt es eine psycholgische Grundbestimmung der Menschen.
Danke, lieber LePenseur,
an diese Erinnerung!
Kreuzweis
Er starb übrigens an TBC, einer Krankheit, die dank kalter männlicher Chemiemedizin hier ausgerottet war und dank warmen weiblischen Gutmenschentums wieder zu uns gekommen ist ...
Werter Le Penseur, geht ich richtig in der Annahme, dass Christian Morgenstern die Auflösung vom Sonntag ist?
AntwortenLöschen@Ester:
AntwortenLöschenRecte dixisti!