Sonntag, 22. Dezember 2013

Gestern wäre einer der großen »Entertainer« des 20. Jahrhunderts

... hundert Jahre alt geworden: der am 21. Dezember 1913 geborene Heinz Conrads. Nicht-Österreichern wird der Name vielleicht nicht so viel sagen, aber in seinem Heimatland hat er für die Radio- und Fernsehgeschichte seinen einzigartigen, unverzichtbaren Platz! Vierzig Jahre lang, von Februar 1946 bis zum 9. Februar 1986 (genau zwei Monate danach ist er seinem Herzleiden erlegen), brachte er allwöchentlich am Sonntag seine beliebte Radiosendung »Was gibt es Neues?«, und daneben seit 1957 ebenso fast dreißig Jahre lang jeden Samstag die Fernsehsendung »Guten Abend am Samstag« (mit ihrer legendär gewordenen Begrüßung »Guten Abend die Damen, guten Abend die Herr'n, guten Abend die Madeln, servas die Buam!«), die wiederum den umtriebigen österreichischen Kulturphilosophen Franz Schuh zur Begriffsprägung »Conradsismus« inspirierten, den er in einem kurzen Essay wie folgt definierte:
Seinerzeit, zum 70. Geburtstag von Heinz Conrads, fand fürs Fernsehen eine Geburtstagsfeier statt — die Feier hatte den Charakter eines geheimen, wenngleich öffentlichen Staatsaktes. Am 9. April 1986 starb Heinz Conrads, und was von den Begräbnisfeierlichkeiten in der Zeitung stand, erweckte in mir den Eindruck, der Tod eines Kaisers hätte die Massen nicht mehr ergriffen!

Ich spreche von »Conradsismus« — wie von einer der großen geistigen Schulen Österreichs. Conradsismus, das war ein staatstragender Versöhnlichkeitskult auf der Grundlage darstellerischer Virtuosität: Alles wird gut, die Menschen teilen sich in die Buam und in die Madln, in die Alten und in die Kranken, alles hat seine Ordnung und wir wünschen allen alles Gute.

Das Wesentliche am Conradsismus war die extreme Passivität ohne den leisesten Gedanken an Verzicht. Ganz ohne Anstrengung sollte zur Verfügung stehen, was gut tat und was anderswo nur als Ernte von Taten einzubringen war. Dahinter stand die propagierte Abschlaffung — ein medial inszenierter politischer Wille, radikal zu vergessen, was einmal in Österreich Sache war: 1927, 1934, 1938, 1945... Und es ging bergauf:

»Wer sich vor zehn Jahren«, schrieb Conrads 1959, »ein Schmalzbrot gewünscht, leistet sich heute ein Henderl. Was früher eine Netzkarte war, ist heute ein Goggomobil geworden. Ein Urlaub am Gänsehäufl wurde zum verdienten Aufenthalt in Jesolo und Mallorca. — Es geht uns gut.«

Aber seltsam, ganz behaglich will man sich in dieser Gegenwart nicht einrichten. Irgendeine Mahnung will man doch aussprechen und so führt Conrads weiter aus:

»Vielleicht haben wir viel zu schnell vergessen, wie's war und vielleicht finden wir's manchmal zu selbstverständlich, daß es uns gut geht. Vielleicht beachten wir nur mehr Sensationen und nicht mehr die kleinen Neuigkeiten unseres Alltags. Doch immer wieder gab es diese kleinen Neuigkeiten, die dann, wenn man stehen bleibt und zurückschaut, unser Leben sind.«

Der Kurzschluß von Alltag und Großereignis zu Gunsten des Alltags, als ob nicht die »Sensationen« diesen Alltag von unterst zu oberst kehren können; die Einladung, sich zu erinnern, als Aufforderung zum Vergessen; vor allem aber das Vertiefen ins Kleine, neben dem nichts Größeres Bestand hat — das sind wichtige Elemente des Conradsismus
.
So komplex kann man's ausdrücken, wenn man will (Schuh will eindeutig, denn schließlich ist er Kulturphilosoph!) ... oder so einfach wie Heinz Conrads selber in seinem berühmten Lied »Ich hab' eine kleine Philosophie«:


Ich erinnere mich noch an die vielen Sonntagvormittage, an denen ich als Kind meiner Großmutter bei den Kochvorbereitungen fürs Mittagessen »half« (d.h. im Weg stand), und Heinz Conrads im Radio sein allwöchentliches Eröffnungslied »Was gibt es Neues?« sang, am Klavier schwungvoll von Gustav Zelibor und Carl de Groof begleitet — von Heinz Conrads in jeder Sendung aufs Neue dem Publikum vorgestellt, wobei dann auch auf Zelibors »Professor«-Titel nicht vergessen wurde, wir waren ja schließlich in Österreich ... — zwei Pianisten, deren Namen wohl fast jeder Angehörige meiner Generation, sogar um drei Uhr morgens aus dem Schlaf gerüttelt, richtig zuordnen kann.

Und dann ging's weiter mit kleinen Scherzen und besinnlichen Plaudereien über die Ereignisse der vergangenen Woche, kurzen Gedichten, Gastauftritten beliebter Sänger (natürlich stets mit einem »... wir begrüßen jetzt ganz herzlich Frau Kammersängerin ...« oder »... Herrn Professor ...« in den einsetzenden Auftrittsapplaus hinein), bis hin zum immergleichen, ein wenig melancholischen Schlußlied, von Heinz Conrads in seinem unnachahmlichen Sprechgesang vorgetragen: »Schau doch auf die Uhr, es ist schon spät ...«

Später freilich, mein Gott! Wie habe ich das gehaßt! Mit süffisanten Bemerkungen vom hohen Roß der Jugend herab über diesen Conrads-Schmarr'n, den sich Oma da anhörte, geätzt ... wie's halt so ist, in diesem Alter, in dem man sich wegen seiner Baby- und Kinderphotos geniert ... einfach peinlich, sowas!

Als ich am 9. April 1986 in der »Zeit im Bild« die Todesnachricht erfuhr, gab es mir einen leichten Stich. Ein Stück Kindheitserinnerung war gestorben, und als Erwachsener nimmt man das dann doch schon anders auf, als man's zuvor in der Jugendzeit aufgenommen hätte. Die Oma war damals schließlich auch schon fast neunzig — wer weiß, wie lange sie noch ...

Eine meiner ganz frühen Kindheitserinnerungen verdanke ich jedenfalls Heinz Conrads. Damals, in den frühen 60er-Jahren kam es zu einer deutlichen Wohlstandssteigerung auch für breitere Bevölkerungskreise — das »Wirtschaftswunder« (das in Deutschland eigentlich keines war, sondern das Ergebnis harter Arbeit, wohl aber in Österreich mit seiner doch etwas lässigeren Arbeitsmoral) wirkte sich aus, u.a. in einer steigenden Zahl von Autobesitzern. Von denen freilich viele ihren Wagen auf Kredit gekauft (und an die Bank zur Sicherstellung verpfändet) hatten, was von Heinz Conrads mit der — von mir jetzt bloß aus dem Gedächtnis zitierten — etwas süffisanten Bemerkung auf den Punkt gebracht wurde: »Wenn alle nur mit dem auf der Straße unterwegs wären, was ihnen tatsächlich gehört, täten sich die meisten auf der Kreuzung zu Fuß mit dem Scheibenwischer in der Hand begegnen!«

Ein Satz, der mir schon damals, im Vorschulalter, gefallen hat — wie man sieht: früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will, und Blogs wie dieser kommen nicht von ungefähr, sondern haben eine psychologisch weitreichende Vorgeschichte — eine Vorgeschichte, die bis in die von Legenden umwobene Frühzeit unseres Medienzeitalters zurückreicht, oder so ähnlich ... ...

7 Kommentare:

  1. Haben Sie noch den unfassbar makabren Nachruf des makabren wienerischen Volksmunds im Gedächtnis? Ich trau michs gar nicht schreiben...

    Mary

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  2. @Mary:

    Nein, kenne ich nicht — schießen Sie los! (Wenn's Ihre Pietät nicht zuläßt, dann halt erst nach dem Ende der Weihnachtsoktav :-)

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  3. "No, I wass net" ! - Welch ein "weanerischer", sentimentaler Kitsch- Bei uns in Saupreissien, (vulgo Piefkistan), könnte solch eine Figur doch nur beissenden Spott ernten, so dicht angesiedelt dies Geträller an weinerlich-weinseligem Gewimmer eines Hans Moser klingt.

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  4. Cher Anonym,

    San S' froh, daß i so tolerant bin! Auf Conradslästerung steht in Wien normalaweis' zumindest a G'nackwatsch'n, die si g'wasch'n hat ...

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  5. I hob dös nöd persönlich so empfundn, sondern bin nur in eine virtuelle Piefke-Rolle geschlüpft. Aber folgendes wäre in Piefkien auch öntsötzlich, nämlich die rollenden 'Rs' Eures Barden, was bei Euch in Slawien-Nähe offenbar noch gängig sind. - Hier in Punzel-istan ist, das müssn'S wissen, das "R' zun Paria-Konosnanten mutiert. - Darf nicht mehr gesprochen werden, so eschröckliche Wörter wir "HeRz" oder SchmeRz, sind ja totalo Autobanhn, nur "HeAz" und "SchmeAz" darf ertönen. Und am "breathtakingsten" ist hierzulande das Zungen-R, das ist ja nur noch Adolf-Assoziation-Generator. - Der Akzent Eures Conrad könnte hier in Gross-Preissn bestenfalls Nasenrümpfen lostreten.

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  6. der böse Spruch lautete:
    wie sagt der Heinzi jetzt? "n `Abend die Maden, Seavas die Wurm!

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  7. @Mary:

    Nein, kannte ich noch nicht, und in der Tat: Pietät liest sich anders ... aber so san meine Landsleut' (besser: Stadtleut') halt ...

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