Freitag, 1. Juni 2012

Gedanken über Freiheit und Gerechtigkeit — Teil I

Wie mehrfach angekündigt, werden sich die nächsten Artikel dieses Blogs mit dem Thema (und den Themen) »Freiheit und Gerechtigkeit« auseinandersetzen. Eher in Form essayistischer Betrachtungen und Überlegungen als in lehrmäßig-systematischer Aufeinanderfolge freilich — Lexika und Fachbücher, in
denen man derlei fände, gibt es bereits zu genüge. Wozu also ein weiteres Mal ...

Dennoch: am Beginn sollten doch einige Begriffsbestimmungen nicht fehlen (schon um mögliche Fehldeutungen durch oder gar Irreführungen der Leser zu verhindern).

1. Gerechtigkeit:
Dasjenige, was an Ehre, Achtung, Förderung, Eigentum, Freiheit, Verfügungsrecht, Schonung, Rücksichtnahme usw. einem geschaffenen Geiste »zukommt«, damit er sein Leben leben und seine natürliche und übernatürliche Aufgabe vor Gott erfüllen kann, bildet »sein Recht«.
... definiert das vom Herder-Verlag 1927 verlegte »Staatslexikon« (Hsgr. von Hermann Sacher, Bd. 2, 548 ff.)
unter dem Stichwort »Gerechtigkeit«. Nun, Herder ist (oder bessergesagt: war damals im Vergleich zu heute) ein »katholisches« Verlagshaus, und so verwundert es nicht, religiöse Bezüge durchaus erkennbar katholischer Anschauungen bei einem doch eindeutig »weltanschaulichen« Begriff vorzufinden. Machen wir uns also zunächst ans »Abspecken« um diese Definitionsteile, um auch Atheisten und Agnostikern einen Begriff, bei dem ihnen nicht der Schaum vor den Mund tritt, vorlegen zu können:
Dasjenige, was an Ehre, Achtung, Förderung, Eigentum, Freiheit, Verfügungsrecht, Schonung, Rücksichtnahme usw. einem Menschen »zukommt«, damit er sein Leben leben und die von seiner Natur vorgegebenen wie auch die selbst gewählten Ziele erfüllen kann, bildet »sein Recht«.
Diese Definition erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, soll aber vorerst als Vehikel für anschließende Betrachtungen ausreichen.

Es fällt auf, daß auch »Freiheit« als Teil dessen, was einem Menschen aus Gerechtigkeit zusteht, ausdrücklich genannt ist. Und in der Tat: Gerechtigkeit enthält stets das Element der Freiheit, ohne welches es ebensowenig den Namen verdient, wie eine »Gerechtigkeit«, die die Ehre, das Eigentum etc. unbeachtet ließe. Die

Freiheit:

.. ist im Vergleich zur Gerechtigkeit noch »schillernder« und durch Definitionen unfaßbarer. Der Begriff reicht von der »Freiheit des sinnvoll motivierten Aktes«, über die »Willensfreiheit« (im engeren Sinne) bis hin zur »sittlichen Freiheit« des Menschen. Vorallem von letzterer wird in der Folge die Rede sein — und sie bedeutet,
kurz gesagt, daß der Mensch den als vernünftig und sittlich gut erkannten Werten frei gegenübersteht, indem er in einer doppelten Unabhängigkeit (nämlich einerseits der von äußerem und/oder innerem Zwang wie andererseits der der Möglichkeit der Gesetzeserfüllung gegenüber anderen Motivationen) ihnen gegenübersteht.

Dieser — äußerst abstrakte im Sinne von »unkonkretisierte« — Freiheitsbegriff wird nun in weiterer Folge durch die Begriffe der »rechtlichen«, der »staatsbürgerlichen«, »wirtschaftlichen« usw. Freiheit näher bestimmt — wobei hier wie so oft das Ganze mehr ist als seine Teile: »Freiheit« ist letztlich ein den Teilbegriffen vorgängiger Grundsatz, der verwirklicht wird, oder eben auch nicht — und dann sind alle gegebenen
»Teilfreiheiten« letztlich nur ornamentale Behübschung einer existenziellen Unfreiheit, die vorallem durch die (seit den Tagen der französischen Revolution scheints unausrottbar in den Hirnen verankerte) Vorstellung, daß »Freiheit« und »Gleichheit« nur gemeinsam verwirklichbar seien (auf die unsprünglich
dazugehörende »Brüderlichkeit« wurde ob ihres nur allzu erkennbar phantasmagorischen Charakters schnell verzichtet)! Nun, Freiheit und Gleichheit gehören nicht nur nicht notwendigerweise zusammen, sondern schließen einander sogar weitgehend aus — anders übrigens als Freiheit und Gerechtigkeit, die einander wirklich wechselseitig bedingen. Nur ist Gerechtigkeit sicherlich alles mögliche — nur nicht (oder bloß in seltenen Fällen) »Gleichheit« ...

So: nach diesen Präliminarien möchte ich mich in den nächsten Artikeln konkreten Problemstellungen zuwenden, wobei ich als Jurist und Ökonom natürlich eine gewisse »Schlagseite« in der Auswahl nicht verleugnen kann. Der erste »Problemfall« wird sich mit der Frage »gerechter Willensbildung« im Gemeinwesen beschäftigen: mittlerweile sind die Zweifel am hierorts herrschenden System von »Demokratie« schon weithin
vernehmlich (was vor, sagen wir, zwanzig Jahren noch einigermaßen unvorstellbar gewesen wäre!) und reichen von bloß »technischen« Alternativvorstellungen in Wahlrechtsfragen bis hin zur »großen Systemkritik«, die sich die Frage stellt, ob eine in Form politischer Parteien betriebene »repräsentative Demokratie« überhaupt in der Lage ist, ein Staatswesen dauerhaft zu führen. »Bleiben Sie dran!«, wie es immer vor der Werbepause (die es auf diesem Blog, Gott sei Dank!, so freilich nicht gibt) so schön heißt ...

3 Kommentare:

  1. sehr gut. Nun zum wahrlich wichtigen: Der Wicht, er spricht. Beziehungsweise: Es spricht aus ihm.

    ES ist die lange gehegte Wutmasse an unverfänglichem Krempel.
    Gerechtigkeit ist gemäss Wicht genau dann gerecht, wenn der Wicht als wichtig gilt.

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    1. Sie haben ja so recht, lieber Anonymus ...

      Ich hätte nur die Frage, ob der Wicht der spricht, nicht immer noch besser ist als der Anonymus, der ätzt. Nicht daß ich mir von Ihnen dazu eine Antwort wünschte — danke, mit Ezzes simma versorgt, wie der Wiener sagt.

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  2. http://geschichts-blog.blogspot.de/2012/05/war-das-ende-der-amerikanischen.html

    Einfach abartig, was die USA-Verhamloser dort abziehen. Kannst du nicht mal eine gepfefferte Antwort darauf schreiben?

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