Montag, 9. November 2009

Die Freiheit und ihr Preis

Unter diesem Titel veröffentlichte die Welt Online vor einigen Tagen einen Artikel von Flemming Rose, dem vor vier Jahren für den Abdruck der Mohammed-Karikaturen verantwortlichen Redakteur der dänischen Zeitung »Jyllands-Posten«. Nur ein paar Zitate daraus, die das mittlerweile unter tonnenweise Meinungsschutt begrabene Problem wieder zu Tage fördern:

Am letzten Dienstag enthüllten das FBI und der dänische Geheimdienst PET, dass zwei Männer mit pakistanischem Hintergrund in Chicago festgenommen worden sind. [...] Einer der beiden Verdächtigen ist zweimal nach Dänemark gereist, wo es ihm gelungen ist, bis in die Redaktionsräume der Zeitung vorzudringen. Er drehte Videos vom Gebäude, versuchte herauszufinden, wo ich wohne und wie mein Tagesablauf aussieht. Es ist nicht angenehm, wenn man erfährt, dass man ermordet werden soll, also ist die Frage erlaubt: War es das wert? Bereue ich, die dänischen Karikaturen veröffentlicht zu haben?

Offen gestanden, ich glaube, diese Frage verkennt, was auf dem Spiel steht. Ebenso gut könnte man ein Vergewaltigungsopfer fragen, ob sie es bereut, am Freitagabend in der Diskothek einen kurzen Rock getragen zu haben.[...]

Gewalt, Terror und Einschüchterung sind Waffen, um Angst zu schüren und das Verhalten von Menschen zu beeinflussen. Deshalb wurde der niederländische Filmemacher Theo van Gogh vor fünf Jahren von einem jungen Muslim ermordet und deshalb wurde Anna Politkowskaja, die kritisch über Tschetschenien berichtet hatte, 2006 erschossen. Drei junge Muslime hatten das gleiche Motiv, als sie 2008 die Ermordung Kurt Westergaards planten. Glücklicherweise wurde die Tat rechtzeitig vereitelt.

All diese Mörder und Verschwörer wollten die Öffentlichkeit, Redakteure, Reporter und Karikaturisten einschüchtern, um eine Sprache zum Verstummen zu bringen, die die Täter nicht mögen, bedient sie sich nun Karikaturen, Filmen oder Nachrichten. [...]

Es ist jedoch signifikant, dass es während des Karikaturenstreits ausschließlich in solchen Ländern ohne Meinungsfreiheit Todesopfer gab, während in jenen Teilen der Welt, wo das Recht die freie Meinungsäußerung schützt, es nicht zu Gewaltausbrüchen kam. Diese Tatsache sollte jene nachdenklich machen, die eine Einschränkung der Meinungsfreiheit fordern, um den Frieden zu wahren. [...]

[...] mir macht ein neuer Fundamentalismus der guten Absicht Sorge. Nennen wir ihn den Fundamentalismus der Beleidigung. Er ist ein globales Phänomen und breitet sich jeden Tag weiter aus, von Indien nach Indiana, von Bagdad nach Berlin. Er wird im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen befördert, er wird in Europa von einflussreichen politischen Kräften unterstützt, um wichtige weltanschauliche Konflikte in einer multikulturellen Gesellschaft zu verhindern.

Die Ironie eines Fundamentalismus der Beleidigung ist, dass er die positive Seite einer multikulturellen Gesellschaft betonen will, die Vielfalt schafft, dabei aber im Namen dieser Vielfalt bereit ist, die Vielfalt der Meinungen zu opfern.

Was ist zu tun? Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder akzeptieren wir den Fundamentalismus der Beleidigung als gesellschaftlichen Leitgedanken - wenn du mein Tabu respektierst, dann respektiere ich deins. Dieser Weg wird unsere Freiheiten auf dramatische Weise einschränken. Der andere Weg besteht darin, sich von jeglichen Tatbeständen der Beleidigung frei zu machen und allein am Tatbestand der Anstiftung zur Gewalt festzuhalten. Dafür trete ich ein, und ja, ich glaube, das ist es wert. Die vergangenen vier Jahre haben mich gelehrt, dass die Freiheit einen Preis hat, insbesondere wenn man den Leuten sagt, was sie nicht hören wollen.

Dem ist nicht wirklich etwas hinzuzufügen — außer, daß es unsere Politiker- und Medienkaste in den letzten Jahren perfekt verstanden hat, die obigen (eigentlich) Selbstverständlichkeiten mit viel Brimborium bis zur Unerkennbarkeit zu verunklären.

Die Antwort auf die Frage »Warum?« kann sich jeder selbst geben ...

2 Kommentare:

  1. Ich bezweifle nicht den Fundamentalismus, wohl aber die „gute Absicht“, die angeblich dahinterstecken soll. In Wahrheit ist es ein eiskaltes Kalkül zur sukzessiven Einschränkung der Meinungsfreiheit. Der Terrorismus wird dabei nicht nur billigend in Kauf genommen, er dient vielmehr zur Rechtfertigung beim Abbau von Bürgerrechten. Um diese Zielrichtung zu vernebeln wird eine Rauchgranate nach der anderen gezündet.

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  2. Die "gute Absicht" ist immer eine Frage des Standpunktes. Man mag es kaum glauben, aber die Judengegner der der 1920er und 1930er Jahre empfanden ihr Wollen ebenso als "gute Absicht", nämlich die Welt vom "Weltfeind" zu befreien, so wie die Gutmenschen heute voller guter Gedanken die Welt von allen rechten Lastern befreien möchten.

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