Freitag, 19. Juli 2013

Hermann Bahr

... wurde heute vor 150 Jahren, also am 19. Juli 1863, in Linz geboren. Hermann Bahr? Kennt den überhaupt noch irgendwer, außer ein paar Germanisten? Bestenfalls die Geringschätzung, mit der ihn Karl Kraus abqualifizierte, ist noch ein vager Begriff — seine Romane, Dramen und Essays dagegen sind auf dem Misthaufen der Literaturgeschichte gelandet, selbst in Antiquariaten in die hintersten Regale verräumt — »Wer will sowas denn noch lesen?« ...

Zugegeben: Bahr war kein »großer« Schriftsteller (geschweige denn ein »Dichter«), sondern gehörte eher der Kategorie der »Literaten«, näherhin dem Typus des gerade in Österreich so verbreiteten »Kaffeehausliteraten« an, mochte er auch noch so genialisch seine Haar- und Barttracht verwildern lassen (die Ähnlichkeit mit einem Johannes Brahms, wenn dieser die Karriere eines Landstreichers eingeschlagen hätte, ist nicht von der Hand zu weisen!), er blieb ein Kind der Zeit und der Gesellschaft dieser Zeit. Dennoch: igbt es wirklich keinen Grund, sich an diesen seinerzeit so erfolg- und einflußreichen Schriftsteller und Literaturkritiker zu erinnern?

Die »Wiener Zeitung« erinnerte vor einigen Tagen an den bevorstehenden »runden« Gedenktag mit einem lesenswerten Artikel: »Der liebe Gott des fin de Siècle« — und erinnerte mich an meine Jugend: der Roman »Die Rotte Korahs«, den ich als Mittelschüler einst in einem ausgemusterten Gymnasial-Lesebuch aus den 50er-Jahren, leider nur mit einem kurzen Ausschnitt, kennenlernte und der mich nun, nach Jahrzehnten, animiert durch diesen Artikel, wieder zu dem Buch greifen ließ, das allzulang in meiner Bibliothek verstaubte ... durchblätternd kam mir manche Szene in Erinnerung, anderes stellte sich völlig abweichend von meiner vagen Jugenderinnerung dar ... köstlich allein durch die Idee, ein Mitglied des altösterreichischen Beamtenadels mit seinem typischen, nonchalanten »Salon-Antisemitismus« gewahr werden zu lassen, daß sein Vater in Wahrheit ein »ein rundum mächtiger, vermögender, beneideter und verachteter jüdischer Spekulan war«.

Der Wiener Literarhistoriker Reinhard Urbach, der den Artikel in der »Wiener Zeitung« verfaßte, erschrickt förmlich über seine Kühnheit, das großangelegte Romanprojekt Hermann Bahrs (aus dem die »Rotte Korahs« bloß einen, wenngleich gewichtigen, Band ausmacht!) um die Gesellschaft des alten, monarchischen und neuen, republikanischen Österreich vom Ende des 19. Jahrhunderts bis hinein in die Zwischenkriegszeit mit Musils »Mann ohne Eigenschaften« zu vergleichen — »fast ein Sakrileg« fügt er entschuldigend hinzu ...

Warum eigentlich? Der Roman Musils blieb ebenso unvollendet, wie die Romanserie Bahrs, der Abstand in der literarischen Qualität der beiden Autoren ist zwar vorhanden, doch bei weitem nicht so abgrundtief, daß man ernstlich von »Sakrileg« sprechen könnte!
Bahr hatte von Anfang an Spaß daran, seine Figuren mit der Physiognomie und den Erfahrungen real existierender Personen anzureichern. Damit schien er die Fiktionalität seiner Geschichten zu unterlaufen und sie zu Schlüsselromanen zu machen. Schon im ersten seiner Wiener Romane, "Neben der Liebe" (1893), glaubten die Leser die Figuren entschlüsseln zu können; noch offensichtlicher im nachfolgenden Roman "Theater" (1897). Bahr legt Leimruten, die Leser kleben fest und wissen genau, wen er meint.

Doch Bahr lacht dazu, vermengt die Eigenschaften und Eigenheiten seiner Freunde und Gegner mit seinen eigenen. Mit sprudelndem Vergnügen macht er sich lustig über sich, oder besser: über den, für den die Öffentlichkeit ihn hält. Man müsse, heißt es in "Neben der Liebe", den Herrn Seeliger heute noch fragen, was er von Ibsen hält, denn morgen wird längst ein anderer im Mittelpunkt seines Interesses stehen.

So entsteht Satire über falsche Meinungen; nicht zynisch, nicht sarkastisch und nicht - wie es so gern heißt - entlarvend, sondern vergnüglich. Man lacht über ihn als Typus, überlässt sich der Heiterkeit, mit der Hermann Bahr meisterlich die wienerische Schickeria persifliert. Und dann, auf dem Höhepunkt des Vergnügens, in dem das lange vorbereitete Happyend eines Ehebruchs bevorsteht, kippt das Ganze und der Autor lässt die Figuren seines Romans samt ihrer Leserschaft verstört zurück mit der Darstellung einer verzweifelten Seele und eines grauenvollen Selbstmords.

Es kommt das so unerwartet, weil der Erzähler unverschämterweise vermieden hatte, die Frau, das Objekt der Begierde des routinierten Verführers, selbst als Subjekt ins Spiel zu bringen. Als er es endlich doch tut, erweist es sich, dass ein anderer als tödlicher Ausgang nicht möglich ist.
... schreibt Urbach gegen Schluß seines Artikels. Und diese Worte machen neugierig auf einen Autor, den es sich vielleicht doch zu entdecken lohnt. Schließlich sind »runde Gedenktage« doch zu etwas gut ... oder?

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