Samstag, 20. Juli 2013

Am heutigen 20. Juli


... und zwar vor exakt 120 Jahren, also am 20. Juli 1893, erblickte Arno von Lenski, General der Deutschen Wehrmacht ebenso wie später der »Kasernierten Volkspolizei« bzw. »Nationalen Volksarmee« der DDR, in Czymochen, Ostpreußen, als Sohn des Besitzers eines Rittergutes und einer Lehrerin das Licht der Welt. Seine einerseits »typische«, andererseits doch auch durchaus »wandlungsreiche« Biographie kann man auf Wikipedia in mehr als hinlänglicher Ausführlichkeit nachlesen — und diese soll, wie in den anderen Artikeln der letzten Monate, in welchen aus Anlaß »runder« Gedenktage historische Persönlichkeiten hier Gegenstand von Artikeln waren, nur insoweit erwähnt werden, als sie für den eigentlichen Anlaß dieser Artikel relevant sind: Verhaltensweisen und Umstände anhand geschichtlicher Vorfälle herauszuarbeiten, die auch für uns heute in ähnlicher Weise zutreffen können.

Alexander Stahlberg — den ich aus Anlaß der 40. Wiederkehr des Todestags des Generalfeldmarschalls von Manstein, dessen Adjudant er war, zu den Attentats-Plänen des 20. Juli 1944 zitierte — schrieb in seinen Erinnerungen (»Die verdammte Pflicht«), daß ihm der damalige Oberstleutnant Arno von Lenski, der den Fahneneid der Rekruten vorbereitete und sich dabei nicht von »unserem Führer«, sondern von »unserem geliebten Führer« zu sprechen bemüßigt fand, deshalb herzlich unsympathisch war und mußmaßte, daß dieser mit solcher Liebedienerei wohl zum Beisitzer im Volksgerichtshof prädestiniert war.

Das nun war in Lenskis  Biographie in der Tat ein »dunkler Punkt«, der dann wohl auch den Ausschlag gab, warum er schon recht bald nach seiner Übernahme als General in die Nationale Volksarmee der DDR mit 65 Jahren in den Ruhestand verabschiedet wurde. Die »Enthüllungen« in der Presse der Bundesrepublik, die ab 1960 darüber verbreitet wurden, waren für die Ostberliner Führung allerdings keine mehr, und trafen bereits einen Pensionisten. Seine Partei, die er mitbegründen half, die National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD), hielt ihm freilich die Treue. Es saß in ihrem Hauptvorstand und war auf Parteitagen und Kongressen bis ins hohe Greisenalter gern gesehener Gast und Gesprächspartner.

So seltsam spielt die Geschichte, wenn man nur an der richtigen Stelle sitzt: der begeisterte Kavallerist, den der unaufhaltsame Aufstieg der Panzertruppen eigentlich um seine Lebensstellung gebracht hatte, kehrt im Ruhestand zur Reiterei, diesmal dem Reitsport zurück. Der in »preußischer Gesinnung« (wie Wikipedia etwas ungelenk formuliert) Erzogene findet seinen Platz in der »preußischen« Partei des Realsozialismus, nämlich der NDPD. Les extrêmes se touchent — und der rote Sozialismus, der vor 1933 den brauen Sozialismus so erbittert bekämpfte, besinnt sich in der DDR auf »preußische« Traditionen und Werte — die in Westdeutschland längst einem liebedienerischen Amerikanismus geopfert wurden.

Vielleicht ist es wirklich so, wie Carl Jentsch in seinem großen, immer noch lesenswerten Werk »Christentum und Kirche in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft« (Leipzig 1909) über das Luthertum im preußisch-brandenburgischen Staat — Troeltsch zitierend — schreibt:
In Milde und Strenge ist er ein Abbild Gottes, und sein Beruf ist in seiner Ausübung von Gottes Gnaden und nur Gott verantwortlich. An seiner Berufswürde nimmt Anteil der Beamtenstand [...] Der Organisierung des Nährstandes liegt der Gedanke zu Grunde, daß der Hausvater für die Familie ist, was die Obrigkeit für das Land. [...] Die freie Berufswahl und das Vorwärtsstreben sind also sehr gehindert, die liberalen Berufe, außer dem juristischen, geistlichen und dem Schulamt fast ganz ausgeschlossen [...]; besonders Begabte können durch Stipendien in das höhere Schulwesen und dadurch in höhere Klassen vorrücken. [...]

Es ist nicht bloß der überwiegend agrarische Charakter des Luthertums und der Boden eines unentwickelten Wirtschaftszustandes, der sich in dem Ausschluß oder der äußersten Einschränkung des Zinses äußert; es ist die religiös-ethische Abneigung des Asktismus gegen den Besitz und seine Gefahren, die hier vor allem wirkt. [...] Eine so erzogene Bevölkerung liefert gute Beamte, gute Untertanen, gute Soldaten und willige Arbeiter, aber bringt keine Initiative und Planmäßigkeit des individuellen wirtschaftlichen Handelns hervor. Es ist eine sonderbare Verschränkung gegenüber dem Calvinismus. Ist dieser in seiner puritanischen Strenge dem Vergnügen und dem Lebensgenuß viel feindlicher als das Luthertum, so ist wiederum die Askese des Luthertums der Entwicklung der modernen Wirtschaft und des Kapitalismus [...] viel feindlicher als der Calvinismus, der diese Dinge für das Gedeihen des christlichen Gemeinwesen benutzen zu müssen meint. Hier wirken Mittelalter und kanonisches Recht im Luthertum fort, während der Calvinismus es hier scharf durchbrochen hat, um in anderen Punkten um so schroffer alte Wege zu gehen.
(a.a.O. S 298ff.)
Wenn dieses Bild konsequent säkularisiert wird, wird es schnell zum Abbild der Bevormundungsgesellschaft in der DDR — und, mutatis mutandis, des Europa unserer Zeit. Und, ganz in confuso sei abschließend ein Gedanke geäußert: daß nämlich der Sozialismus quasi die säkulare Häresie des Luthertums, der Kapitalismus hingegen die des Calvinismus darstellt.

Gering also war die zu überwindende Distanz eines preußisch-nationalgesinnten Lutheraners in die DDR. Arno von Lenski ist diesen Weg gegangen — wie viele andere auch ...

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