Samstag, 27. März 2010

Der Vollprofi

Unter diesem Titel wurden Reinhard Göweil, damals Leiter des Wirtschaftsressorts in der Wiener Tageszeitung »Kurier« von einer Kollegenpostille Rosen gestreut. Nun, wer den Wirtschaftsteil des »Kurier« las, war ja doch irgendwie selber schuld. In der »Kronenzeitung« hätte er wenigstens auf Seite fünf eine meist optisch angenehme Darstellung gefunden — aber den »Kurier« zu lesen, war immer schon (bis auf ein paar recht nette Kolumnen am Samstag) eine etwas selbstquälerische Sache: Fremdschämen war angesagt für eine Redaktion, die den Spagat zwischen Kleinformat-Niveau und Qualitätszeitung immer wieder versucht, und daran regelmäßig scheitert ...

Im Herbst 2009 wurde besagter »Vollprofi« dann blitzartig als Ersatz für Andreas Unterberger zum Chef der »Wiener Zeitung« gemacht. Vom roten Bundeskanzler Faymann, der offenbar kritische Kommentare in »seiner« Zeitung nicht verkraftete. Aber selbstmurmelnd hatte das alles nichts, aber schon gar nichts mit Parteipolitik und Postenschacher zu tun!

Wes Geistes Kind besagter »Vollprofi« ist, konnte man schon aus seinen lichtvollen Erläuterungen zur Wirtschaftskrise (damals noch im Wirtschaftsteil des »Kurier«) erkennen. Da finden sich erlesene Köstlichkeiten wie die folgende:
Da wurde uns jahrelang erklärt, Staatsbetriebe müssen an die Börse, weil die privaten Aktionäre sind ein Dynamo für das Management. Staatsbetriebe hingegen sind träge, plump, dumm und humorlos. Nun, AUA, Post und Telekom Austria sind an der Börse. Ihre Aktienkurse sind – nicht nur wegen der Finanzkrise – zum Fürchten. Und der Dynamo hat sich als löchriger Reifenschlauch herausgestellt. Tausende Jobs gehen nun verloren, obwohl der schlichte Reim ‚weniger Staat, mehr privat’ jahrelang wie ein wirtschafts-politisches Vaterunser gebetet wurde. Es zeigt sich, dass Unternehmen vor allem zwei Dinge brauchen: Ausreichend Kapital und ein cleveres Management. Dass in den Vorständen nach den politisch motivierten Ablösen seit dem Jahr 2000 arg daneben gegriffen wurde, ist evident. Und kostet viel Geld und Arbeitsplätze. Krisenzeiten zeigen, dass der Staat im Ernstfall einspringen muss. Dass er in guten Zeiten nur zuschauen kann, wie Private über die Börse die Gewinne einstreifen, ist ab nun nicht mehr einzusehen.
Dieser Aufruf zu mehr Staatswirtschaft wurde — wen wundert's — von einem sozialistischen Abgeordneten 2008 im Wiener Gemeinderat begeistert ohne Namensnennung zitiert, der auf den scherzenden Zwischenruf, ob dies von Che Guevara stamme, erklärte:
Der Che Guevara heißt Reinhard Göweil, und der Artikel findet sich auf Seite 1 des „Kurier“ vom 10. November dieses Jahres.
Das erklärt vieles, aber entschuldigt nichts ...

Besagter »Vollprofi« Göweil erklärte aus Anlaß seiner Installierung, die »Wiener Zeitung« solle eine »liberale, offene Qualitätszeitung werden« (nicht etwa »bleiben« — was demnach bedeutet, daß sie das unter Andreas Unterberger nicht gewesen wäre). Was nun versteht der »Vollprofi« unter »liberal«? Er zeigt es uns in der heutigen Ausgabe in seinem Leitartikel »Liberal ist das nicht«:
Im Umfeld von Barbara Rosenkranz und nun dem Wiener Akademikerbund taucht kurioserweise immer wieder das Wort "liberal" auf: Das NS-Verbotsgesetz aufzuheben sei notwendig, weil dies die Meinungsfreiheit einschränkt. Und Meinungsfreiheit sei doch ein Kernpunkt des Liberalismus.

Und daher solle – meint der Wiener Ableger des VP-nahen Akademikerbundes – auch gleich Fristenlösung, Gleichbehandlungsgesetz und Zuwanderung von Muslimen abgeschafft werden – das ist das Gegenteil von liberal.

Wiens ÖVP-Obfrau Marek spricht von "wirren Fantastereien", der Sprecher von Josef Pröll bezeichnet die Organisation als "Sumpftruppe".

Alles richtig. Eher beängstigend ist aber, dass Österreichs reaktionäre Kreise den Liberalismus für sich beanspruchen. Deren Forderungen haben mit Freiheit so viel zu tun, wie Sonnenlicht auf die Rückseite des Mondes scheint.
Damit läßt der »Vollprofi« erkennen, daß er nicht nur von Wirtschaftspolitik, sondern auch von Liberalismus etwa so viel versteht, wie von Astrophysik. Also nicht viel. Denn Sonne scheint auf die Rückseite des Mondes genauso viel, wie auf die der Erde zugewandte Seite, nur eben zu anderen Zeiten, und für den »Vollprofi« im Dunkel einer Neumond-Nacht nicht erkennbar. Und so hat der »Vollprofi« gegen seinen offensichtlichen Willen sogar recht: ja, die Forderungen des Wiener Akademikerbundes und aus dem Umfeld von Frau Rosenkranz haben mit Freiheit soviel zu tun, wie Sonnenlicht auf die Rückseite des Mondes scheint. Ganz richtig! Nur eben für Göweil und seinesgleichen nicht erkennbar, weil sie sich mit einem naiven Augenschein zufrieden geben, die Sache nur von einem Standpunkt aus betrachten und nicht einmal daran denken, etwas kritisch zu überdenken.

Und der »Vollprofi« schließt mit Aplomb:
Es ist hoch an der Zeit, den Begriff "liberal" aus der verstaubten Ecke herauszuholen. Es geht nicht um ökonomischen Neoliberalismus, es geht um gesellschaftlichen Liberalis-mus. Den rechten Recken geht es bloß darum, ihre vorgestrigen Anschauungen sympathisch zu ummänteln. Sozial-, Christdemokraten, Grüne und (ja, die gibt es noch) Liberales Forum sollten sich Gedanken machen, mit welchen Inhalten dieser Liberalismus gefüllt werden kann. Die volle Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ist ein Punkt.

In einer liberalen Gesellschaft herrscht der unbedingte Wille zum Rechtsstaat und zum demokratischen System. Eine solche liberale Gesellschaft muss aber intolerant gegen jede Form des Extremismus und ihrer Verniedlichung sein.
Schön gesagt. Nur bleibt uns der »Vollprofi« leider die Antwort schuldig, warum zwar die »volle Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften« ein liberaler Punkt sein soll, aber die »volle Anerkennung der Meinungsfreiheit« keiner. Und er bleibt uns weiters die Antwort schuldig, wie der »unbedingte Wille zum Rechtsstaat« mit dem zum »demokratischen System« vereinbar ist, wenn sich dies in der Realität unseres »demokratischen Systems« in seiner Unvereinbarkeit nur allzu deutlich präsentiert? Oder ist dem »Vollprofi« etwa nicht aufgefallen, daß nicht nur die Bestellung von Chefredakteursposten der »Wiener Zeitung«, sondern auch die Bestellung von Richtern nach parteipolitischen Kriterien erfolgt? Daß etwa unser höchstes Gericht, der Verfassungsgerichtshof, seit seiner Entstehung ganz ungeniert nach Parteiproporz besetzt ist? Daß schon seit Brodas unseligen Zeiten rote Seilschaften unsere Staatsanwaltschaft dominieren? Daß praktisch alle Spitzenbeamten (von ein paar parteilosen Feigenblättern bzw. durch Koalitionsübereinkunft seinerzeit avancierten »Blauen« abgesehen) nach dem seit Jahrzehnten großkoalitionär ausgepackelten Proporzsystem besetzt werden?

Dann ist dem »Vollprofi« sicherlich auch nicht aufgefallen, daß jeder, der sich gegen dieses korrupte System der Parteienklüngel, das man so nett behübschend »Realverfassung« nennt, wendet, sofort des »Extremismus« geziehen und — wo seine Existenzvernichtung nicht möglich ist — wenigstens derart massiv ausgegrenzt wird, daß alle anderen, weniger mutigen, die Lektion nicht vergessen und weiter kuschen!

Göweils Bestellung zum Chefredakteur war (wie auch die einfach letztklassige Form der Abservierung Unterbergers) ein Sittenbild unserer Politik im allgemeinen, und der Politik der Roten im besonderen. Von einem Jubelperser, der von solchen Kräften an die Spitze der ältesten Zeitung Europas geschwemmt wurde, kann man nicht viel erwarten, das ist schon klar. Aber von so jemandem dann noch ein vollmundiges »Liberal ist das nicht« zu hören, das ist nur noch eines: lächerlich!

»Ein Vollprofi«, meinten seine Kollegen? Nun, mir fiele da spontan ein anderes mit »Voll-« zusammengesetztes Wort ein. Der andere Wortbestandteil wird von einer Reihe solider Firmen hergestellt. Nur: was die Qualität angeht, ziehe ich diesem Herrn Göweil jeden anderen vor — er muß nicht einmal von Louis Vuitton sein ...

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