Montag, 15. Juli 2019

Hundert notwendige Gedichte LIII — Hugo von Hofmannsthal




Manche freilich müssen drunten sterben,
Wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
Andre wohnen bei dem Steuer droben,
Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.


Manche liegen immer mit schweren Gliedern
Bei den Wurzeln des verworrenen Lebens,
Andern sind die Stühle gerichtet
Bei den Sibyllen, den Königinnen,
Und da sitzen sie wie zu Hause,


Leichten Hauptes und leichter Hände.

Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
In die anderen Leben hinüber,
Und die leichten sind an die schweren
Wie an Luft und Erde gebunden:



Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
Kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
Noch weghalten von der erschrockenen Seele
Stummes Niederfallen ferner Sterne.

Viele Geschicke weben neben dem meinen,


Durcheinander spielt sie alle das Dasein,
Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens
Schlanke Flamme oder schmale Leier.

Die beiden letzten Verse stehen auf dem Grabstein des Dichters, der heute vor neunzig Jahren durch einen Herzschlag am Weg zum Begräbnis seines Sohnes, der zwei Tage davor Selbstmord begangen hatte, viel zu früh aus dem Leben und Schaffen gerissen wurde.

Der Dichter, dessen Bedeutung für die österreichische (und auch gesamte deutsche) Literatur des beginnenden XX. Jahrhunderts kaum zu überschätzen ist, sah sich selbst immer als typisch christlicher Aristokrat (ob er nun Terziarier der Franziskaner war oder nicht, ist wohl nie mehr ganz zu klären, begraben wurde er jedenfalls in dessen Habit) — aber die Nazis mit ihren krausen Rassevorstellungen waren da andere Meinung (auch Richard Strauss hatte darunter zu leiden, daß seine beiden erfolgreichsten Librettisten, Hofmannsthal und Zweig, »rassenfremd« waren); daß sie Hugo v. Hofmannsthals Familie ins Exil trieben und das nachgelassene Vermögen beschlagnahmten, führt zwar zu einer kühlen Notiz in Hofmannsthals Biographie, doch läßt jene gutmenschliche Be- & Getroffenheit, mit der das Emigrationsschicksal anderer, nicht so dezidiert christlich-monarchistisch-konservativer Künstler und Denker beklagt wird, vermissen. Es kommt zwecks Entrüstung offenbar immer darauf an, wer da verfolgt wurde ...

Hofmannsthal war zwar mehrfach für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen, erhielt diesen aber nie. Ein von mir schon mehrfach angeführter Grund, diesen Preis als einigermaßen dubios anzusehen (was für die naturwissenschaftlichen Nobelpreise kaum je, umso mehr dafür jedoch für den Friedens-Nobelpreis zutrifft)!
Jede Nominierung wurde hauptsächlich durch das Votum des schwedischen Schrift-stellers Per Hallström zu Fall gebracht, der gegen den Österreicher die „Lüsternheit“ von Stücken wie dem Rosenkavalier vorbrachte, aber auch mit antisemitischen Argu-menten Erfolg hatte.
... informiert uns Wikipedia. Und wenn Sie nun »Per ... who?!« fragen, geht es Ihnen nicht anders als mir, und beweist, daß intrigante Kleingeister den Kurs der schwedischen Akademie nicht erst in unseren Tagen zu lenken wissen. Was manche Wahl und Nicht-Wahl zwar nicht erfreulicher, aber erklärlicher macht ...









Keine Kommentare: